Sturm der Seelen: Roman
durch die Eingangstür geschritten kam. Bis auf ein paar unterdrückte Huster und ein Schniefen hier und da herrschte absolute Stille. Alle Augen waren auf ihn gerichtet, während er die Lobby durchquerte und an den Ständern mit Werbebroschüren für die örtlichen Touristenattraktionen vorbeiging.
Die Lobby war bis oben hin voll mit Menschen, sie saßen auf den Sofas und in den Sesseln, drängten sich auf jedem freien Fleckchen der großen Halle. Rechts neben der Rezeption befand sich das Restaurant, das passend zum Gesamtkonzept Ye Olde English Tavern hieß. Die Menschen vor ihm sahen aus wie ein Großteil der Einwanderer, die in den Tagen seiner Vorfahren nach Ellis Island gekommen waren, wohl ausgesehen haben mochte: ungewaschene Gesichter in ebenso dreckiger Kleidung. Allerdings hatten diese durchgefrorenen und erschöpften Gestalten nicht soeben ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um vielleicht ein Leben in Freiheit führen zu können – sie waren nichts weiter als menschlicher Abfall, der darauf wartete, seiner Bestimmung zugeführt zu werden.
Er packte die Lehne des nächstbesten Stuhls, und der Mann, der gerade noch darauf gesessen hatte, sprang gehorsam auf. Richard schob den Stuhl in die Mitte der Lobby und stellte ihn dort neben die kleine Tafel, auf der das Hotel sein Côte de Bœuf für 22 Dollar pro Portion bewarb. Dann stellte er sich auf den Stuhl und ließ seinen Blick zunächst über seine Gefolgschaft wandern, bevor er etwas sagte. Ihre Gesichter entspannten sich merklich, als Richard ein Lächeln aufsetzte.
»Wie findet ihr es, wieder ein Dach über dem Kopf zu haben?«, fragte er schließlich.
Zufriedenes Murmeln.
Fahle Lichtstrahlen, in denen der in der Luft hängende Staub auf und ab tanzte, drangen durch die Spitzbogenfenster an der Vorderseite des Hotels in die Lobby und erweckten so die Illusion, der Raum wäre tatsächlich beleuchtet, und Richards Atemwolken erstrahlten im Lichtschein, während er sprach.
»Als Erstes möchte ich euch alle zu eurem unerschütterlichen Willen und Durchhaltevermögen beglückwünschen. Wir alle wollen unsere Situation verbessern. Das nackte Leben zu retten ist schwer genug, aber danach den ersten Schritt hinaus ins Unbekannte zu wagen ist schlichtweg beängstigend. Ihr könnt alle stolz auf euch sein. Ihr seid die tapfersten Männer und Frauen, deren Bekanntschaft zu machen ich je die Ehre hatte.« Er machte eine kurze Pause, damit alle klatschen konnten. »Aber jetzt kommt der schwierigste Teil: Seid ihr bereit, euch an die Arbeit zu machen?«
Die meisten nickten, wenn auch viele mit einem gewissen Murren, aber Richard sah in ihren Augen, dass sie sich fügen würden. Sie wussten, dass es keine Alternative gab.
»Nachdem dieser Sturm die Sonne noch zusätzlich verdunkelt, bleiben uns höchstens noch vier bis fünf Stunden Tageslicht, das heißt, wenn wir Glück haben. Wir sollten also sofort anfangen. Die Zeit arbeitet gegen uns. Als Erstes brauchen wir die Generatoren, die uns den Luxus künstlicher Beleuchtung ermöglichen, wodurch wir unsere Arbeitsstunden, unsere Produktivität, drastisch erhöhen könnten.« Richard machte erneut eine kurze Pause. Seine Zuhörerschaft blickte zu ihm auf wie eine Meute geprügelter Hunde. Vielleicht war es an der Zeit, ihnen auch einmal einen Knochen zuzuwerfen. Er setzte ein warmes Lächeln auf. »Doch zuallererst würde ich vorschlagen, ihr seht euch mal in dem Restaurant um, ob ihr dort nicht ein ordentliches Frühstück für euch auftreiben könnt!«
Das entspannte seine Zuhörer sofort, es wurde gelächelt, und die Leute begannen sich zu unterhalten, während sie sich auf den Weg in die Olde English Tavern machten.
»Garrett«, sagte Richard und hielt ihn am Arm fest, bevor er den anderen folgen konnte. »Sie müssen mir einen Gefallen tun.«
»Was immer Sie wünschen, Boss.«
»Sie sind jetzt meine rechte Hand«, sagte Richard und beobachtete Garretts Reaktion auf seine Wortwahl genau. »Sie müssten etwas von größter Wichtigkeit für mich tun. Es ist eine Sache nur zwischen uns beiden. Glauben Sie, dass Sie das können?«
»Absolut«, erwiderte Garrett, und seine Augen leuchteten aufgrund des ihm soeben zugesprochenen VIP-Status.
»Es geht um Folgendes«, fuhr Richard fort und zog ihn näher zu sich heran, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern.
Garrett hörte angestrengt zu und konzentrierte sich auf jedes einzelne Wort, damit ihm bei dem Lärm um sie herum auch nichts entging. Er nickte ein paarmal und
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