Sturm der Seelen: Roman
Fußsohlen gegen die Abdeckplatte und drückte mit aller Kraft dagegen. Mit einem lauten Knirschen bewegte sie sich schließlich und gab die darunterliegende Öffnung zur Hälfte frei. Jill rutschte nach und presste abermals mit ihren Beinen, sie schrie beinahe vor Anstrengung, und endlich konnte sie die Felsplatte ganz von der Dachluke herunterschieben. Jill rollte sich herum und hielt ihren Atem an, um nicht den ganzen Staub einzuatmen, während sie auf allen vieren auf die Öffnung zukroch. Schließlich musste sie husten, und ihr blieb nichts anderes übrig, als sich ihr T-Shirt über Mund und Nase zu ziehen, was sie aber nicht davon abhielt, den Kopf durch die Luke nach unten zu strecken. Die Finsternis dort unten war so undurchdringlich, als wäre der Raum bis oben hin mit Rohöl gefüllt.
»Ich brauche ein Licht«, keuchte Jill, zog ihren Kopf wieder aus der Luke und schaute sich um. Eine Ebene unter ihr steckte ein brennender Ast in einer Felsspalte, also hastete sie die Leiter hinunter und packte die Fackel. Um ein Haar wäre sie auf dem Weg nach oben ausgegangen, so eilig hatte sie es, wieder zu der Luke zu kommen.
Jill hielt die Fackel hinunter in die Dunkelheit, und der dichte Staub und die Spinnweben in dem Raum erstickten die Flamme beinahe, doch konnte sie genug sehen, um eine mehr oder weniger menschliche Gestalt direkt unter ihr auszumachen. Sie blickte noch einmal zurück zu den anderen, aber die waren vollauf damit beschäftigt, sich an dem Kohlefeuer zu wärmen.
Entschlossen legte Jill sich auf den Bauch und ließ ihre Fackel hinunter auf den Boden des Raums fallen, gab aber Acht, dass sie die menschliche Gestalt dort unten nicht treffen würde. Kaum lag der brennende Ast am Boden, kamen flackernde Konturen zum Vorschein. Es war ein Skelett. Mit überkreuzten Beinen saß es da, der Kopf vornübergesunken auf den knöchernen Brustkorb, die Arme hingen schlaff an der Seite herab, wobei die verkrümmten Finger der mit der Innenseite nach oben gedrehten Hände zu Jill hinaufzeigten. Der Untergrund um die Figur herum war schwarz verfärbt von abgefallenem Fleisch und Haut.
»Jesus Christus«, murmelte Jill und verzog das Gesicht wegen des höllischen Gestanks, den die Leiche verströmte.
Sie nahm einen tiefen Atemzug und schloss die Augen, dann ließ sie ihre Beine durch die Luke hindurch hinunter in die Dunkelheit baumeln. Der stark verwitterte Boden unter ihr stöhnte laut auf, als ihr Gewicht darauffiel. Ihr Glück war, dass die eigentliche Decke aus Baumstämmen bestand, die so dick waren wie Telegrafenmasten – anderenfalls hätte sie die Decke wahrscheinlich durchbrochen und wäre zu Tode gestürzt. Sie musste vorsichtiger sein.
Jill hob die Fackel auf und trampelte mit ihren Stiefeln die kleine brennende Stelle auf dem Boden aus. Die Augenhöhlen des Skeletts waren von Spinnweben und den Überresten ihrer einstigen Bewohner durchzogen. Es mochte am Feuerschein der Fackel liegen, aber die Leiche sah aus, als bestünde sie aus Hanf. Die Zähne waren alle noch intakt, nur der Unterkiefer hatte sich gelöst und lag jetzt auf dem Schoß des Skeletts. Einige der Rippen waren ebenfalls aus ihrer knorpeligen Verankerung gefallen, die sich im Lauf der Jahrhunderte aufgelöst hatte, und der Oberkörper war nach vorne gesunken. Bis auf die Wand zu ihrer Rechten, die zur Fassade des Pueblos zeigte, waren die Mauern vollkommen glatt. Dort jedoch erkannte Jill an mehreren Stellen tiefe Furchen und Riefen, die nur von menschlichen Fingernägeln stammen konnten.
Jill kniete sich hin und blickte in das ausdruckslose Gesicht der Leiche, dann auf den Boden. Unter einer dicken Staubschicht lagen bunte Kreidestücke. Sanft blies sie den Staub beiseite, dennoch erhob sich eine Wolke von Fäulnisgestank, der Jill würgen ließ. Als sie ihren Atem wieder unter Kontrolle hatte, hielt sie ihre Fackel dichter über den Boden und entdeckte eine erstaunlich detaillierte Kreidezeichnung. Sie stammte offensichtlich von derselben Person, die auch die Höhlenwand bemalt hatte. Jill erkannte eine Hand, deren ausgestreckter Zeigefinger eine zweite Hand berührte, die jedoch nur aus Knochen bestand – eine Skeletthand.
Jill hob ihren Blick und schaute in das schmale Gesicht des Totenschädels, aus dem unsichtbare Augen sie anzusehen schienen.
»Ist das für mich?«, fragte sie flüsternd und blickte hinunter auf die Hand des Skeletts. Ganz langsam streckte sie ihre Hand aus, bis sie die Fingerspitzen des Skeletts
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