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Sturm der Seelen: Roman

Sturm der Seelen: Roman

Titel: Sturm der Seelen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael McBride
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berührte.
    Ein blendend weißes Licht leuchtete in den Augenhöhlen des Totenschädels auf, und Jill hatte gerade noch Zeit, ihren Mund zu einem lautlosen Schrei zu öffnen, dann wurde sie in das Licht gezogen. Der grelle Schein verblasste, und ein Schneesturm materialisierte sich vor ihr, der so dicht war, dass sie die dunklen Gestalten, die vor ihr durch den tiefen Schnee stapften, gerade noch erkennen konnte. Wie in einem schlecht geschnittenen Film sah sie als Nächstes eine Gruppe junger Menschen in einer Höhle, die Fackeln in die Höhe hielten. Es war ihre Höhle, doch die Gestalten trugen Tierhäute, zottelige Bärenfelle, fast vollkommen glatte aus Elch- oder Hirschhaut, und einer hatte sogar die Mähne eines Bisons über seinen Schultern hängen. Dann verschwanden die pelzbehangenen Figuren, und an ihrer Stelle erschienen Männer und Frauen mit dunkler Haut, in einfache Ledergewänder gehüllt, die beim Bau des Pueblos schufteten, nur eine Frau stand abseits und bemalte die Außenwand des langsam entstehenden Bauwerks. Wieder ein plötzlicher Schnitt – und das Pueblo war fertig, wie auch die Wandmalerei. Ein paar alte Männer deuteten mit ihren von tiefen, fast wächsernen Falten durchzogenen Gesichtern auf das Gemälde. Jill konnte ihre Worte zwar nicht verstehen, aber die Furcht in ihren Stimmen war unüberhörbar. Mit tränenüberströmtem Gesicht stand die Frau vor ihnen, ihr Bauch rund und dick – sie war schwanger. Ein besonders greisenhafter Mann berührte mit einem knorrigen Finger ihren Bauch. Die Umstehenden wirkten sehr ernst, geradezu gebeugt von der Last der Entscheidung, die sie gerade getroffen hatten. Dann war Jill wieder in dem kleinen Raum und sah, wie die Steinplatte über die Öffnung geschoben wurde, um sie für immer in der Dunkelheit dieser Grabkammer einzuschließen. Es folgte ein weißer Blitz, dichtes Schneetreiben. Männer und Frauen schleppten sich durch den knietiefen Schnee, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrachen, ohne nochmals wieder aufzustehen. Schreie, ein Schmerz explodierte in ihren Fingern, die Nägel wurden aus ihren Betten gerissen, und Blut tropfte von der zerfetzten Haut, während sie immer noch versuchte, sich durch die Wand zu graben, um ihnen zu helfen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie sie starben, dann sank sie, begleitet vom Stakkato ihres eigenen Schluchzens, zuckend in sich zusammen.
    Jill schnappte nach Luft und fiel nach hinten um. Anscheinend hatte sie die ganze Zeit über die Luft angehalten.
    Ihr Blick schoss nach oben zu dem Skelett, dessen Kopf in diesem Moment vornübersank und sich von der Wirbelsäule löste. Krachend fiel er auf den Boden und rollte in die Mitte der Zeichnung auf dem Boden.
    Vorsichtig hob Jill ihn auf. Sie wollte gerade versuchen, ihn wieder auf das Skelett zu setzen, als sie merkte, dass etwas an der Zeichnung anders war. Jemand hatte mit dem Fingernagel die Worte »Sturm der Seelen« hineingekratzt. Jill befestigte den Kopf so gut es ging zwischen den Schultern des Skeletts, dann sah sie ihre Hände an. Die Spitze ihres rechten Zeigefingers war von einem bunten Pulver bedeckt.
    Von oben kam ein Schrei.
    Jill blickte auf und sah einen großen, weißen Falken in der Luke sitzen, der sie mit gleißend weißen Augen anfunkelte, die ihr erstaunlich bekannt vorkamen.

XXII
     
    SALT LAKE CITY
     
    Gray half den anderen, die Küche nach Essbarem zu durchkämmen, und hatte gerade eine Eineinhalbkilo-Packung Erdnüsse gefunden, als Garrett das Restaurant betrat. Er kannte den Mann nicht gut genug, um den Ausdruck auf seinem Gesicht deuten zu können, aber an der Art, wie er sich seinen Weg zielgerichtet durch die Menge bahnte und dabei mit seinen Augen den Raum absuchte, konnte er ablesen, dass er Wichtigeres im Sinn hatte als ein paar möglichst frische Brezeln. Zunächst dachte Gray, dass er vielleicht nach ihm suchte. Er wusste, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis ihr selbst ernannter Anführer nach ihm schicken lassen würde, aber als Garrett neben der Mutter mit ihrem kleinen Jungen stehen blieb und sie nach einem kurzen Wortwechsel hinaus in die Lobby eskortierte, spürte er, dass da etwas Seltsames vor sich ging, etwas, das niemand mitbekommen sollte. Es war keine logische Gedankenkette, die ihn zu diesem Schluss brachte, eher ein Bauchgefühl, das jedoch weit stärker war, als er es je erlebt hatte: als habe jemand seine Hand in seine Eingeweide gegraben und warte nur noch auf den richtigen Moment, sie

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