Sturm der Verfuehrung
hatte, atmete sie ein wenig leichter. Charlie schätzte es definitiv nicht, wenn sie davon sprach, seinen Antrag ablehnen zu können. Was sie zu der Frage zurückbrachte, warum er so erpicht darauf war, sie zu heiraten.
Wenn er es ihr sagte, würde dies das Leben - ihres und seines -erheblich vereinfachen, aber er wollte es offenbar nicht preisgeben. Also müsste sie weiter ihrer Taktik folgen, bis sie es schließlich selbst herausfände.
»Miss Conningham!«
»Juhu - Miss!«
Sarah blieb stehen und drehte sich um. Lächelnd sah sie, wie sich drei Jungen - nun ja, inzwischen waren sie junge Männer - durch das Gedränge zu ihr durchkämpften. Als sie bei ihr ankamen, verbeugten sie sich formvollendet und grinsten sie dann fröhlich an.
»Haben Sie diese Kreatur schon gesehen, die halb Mann, halb Frau ist, Miss?«, fragte Bobby Simpson aufgeregt. »Da drüben in dem Zelt?« Er streckte den Arm aus.
»Er oder sie - wirklich ganz erstaunlich, Miss«, stimmte Johnny Wilson ein.
Für die Jungen war es natürlich die größte Attraktion. »Was habt ihr denn außerdem noch zu bieten?«, fragte Sarah lächelnd.
Daraufhin sprudelten die drei begeistert einen Katalog von Vergnügungen hervor, die auf dem Jahrmarkt zu finden waren. Sie kannten Sarah, seit sie Kinder waren, und offenbarten ihr ohne Scheu ihre frühmännlichen Ansichten. Natürlich bemerkten sie Charlie - wie sollte es anders sein? - und Sarahs Hand auf seinem Arm, aber aus ihren verstohlenen, unsicheren Blicken war zu schließen, dass sie ihn noch nie gesehen hatten.
Schließlich versiegte ihr Redestrom.
»Ich danke euch. Jetzt weiß ich, was ich mir in der verbleibenden Zeit noch ansehen werde.« Sarah deutete auf Charlie. »Dies ist Lord Meredith.«
Hastig zogen die drei ihre Mützen - den Namen kannten sie sehr wohl.
»Jetzt erzählt mir - wie kommt ihr in der Gerberei zurecht?«, fragte Sarah.
Sie gehorchten, doch die Begeisterung für ihre Arbeit war deutlich geringer als die für den Jahrmarkt. Lächelnd ließ Sarah sie gehen. Nach einer schnellen Verbeugung vor ihr und Charlie mischten die Jungen sich unter die anderen Besucher.
Charlie schaute ihnen nach. »Es müssen eine ganze Menge Jugendliche hier sein, die Sie vom Waisenhaus kennen.« Sie schlenderten weiter. »Wie viele entlassen Sie jedes Jahr auf diese Weise in die Welt?«
»Das variiert. Und es sind nicht nur Jungen. Die Mädchen kommen größtenteils als Dienstmädchen in großen Häusern unter, manchmal auch in der Küche, wo sie zur Köchin ausgebildet werden.«
Sie gingen langsam die Gassen zwischen den Buden entlang, überflogen die Angebote, widerstanden den Lockrufen, näher zu treten und sich die Waren anzusehen oder die diversen Vorstellungen. Die vor dem Kasperletheater versammelte Kinderschar war beachtlich. Charlie und Sarah blieben stehen und schauten eine Weile zu, wobei sie die Kinder und ihre lärmenden Reaktionen unterhaltsamer fanden als die Vorführung.
Als sie schließlich weitergingen, ergab sich kein Anlass mehr, ihrer beider Willenskräfte miteinander zu messen, und Sarah war dankbar dafür. Sie sah keinen Sinn darin, auf einem Thema herumzureiten, von dem sie wusste, wie er darauf reagierte.
Seine Charakterzug, ohne Rücksicht auf Verluste seinen Kopf durchzusetzen, war innerhalb seiner Familie wohlbekannt und dank seiner Schwestern auch Sarah schon seit langer Zeit. Interessanterweise hatte Charlie nicht versucht, seinen ebenso wohlbekannten Charme bei ihr einzusetzen. Eine weise Entscheidung: Charmeoffensiven wirkten bei ihr nie, und in seinem Fall kannte sie das wahre Gesicht hinter der Fassade. Anstatt sie mit Schmeicheleien zu überhäufen, hatte er eine andere Methode ersonnen, ihr Jawort zu erlangen, aber sie war entschlossen, sich nicht übertölpeln zu lassen.
Das sagte ihr Verstand, doch ihre Sinne dazu zu bringen, auf ihn zu hören, war, als predigte man tauben Ohren. Sarah wünschte, es wäre anders, wünschte, dass ihre Sinne nicht jedes Mal verrücktspielten, wenn im Gedränge Charlies Körper an den ihren gedrückt wurde, dass sie nicht jedes Mal ein wohliger Schauer überliefe, wenn sein Arm ihre Brust streifte.
Im Lauf des Nachmittags und mit dem Dichterwerden des Besucherstroms erwiesen sich Charlies Befürchtungen, dass dieser Ausflug ihm zur Qual geraten würde, als zutreffend. Aber es bereitete ihm keine Freude, recht gehabt zu haben - und auch nicht das Wissen, dass Sarah ebenso litt, was er an ihrem Erschauern bemerkte, wenn er
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