Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
Tür bereits erreicht, als Ghinorha noch einmal das Wort an sie richtete: »Du hast Angst, nicht wahr?«
Thia erschauderte, seufzte schwer und sagte, ohne sich zu der anderen zurückzudrehen: »Ja, das habe ich.«
Daraufhin schirmte Ghinorha das Zimmer mit einem Zauber gegen alle fremden Ohren ab.
»Mach dir keine Sorgen«, bat sie dann. »Du weißt genauso gut wie ich, dass der Funken im Niedergang begriffen ist. Soritha treibt den Turm ins Verderben. Wenn wir jetzt nicht eingreifen, wird es zu spät sein. In einem Monat holt sie alle in den Rat, die hier jetzt schalten und walten. In Korunn, im Umfeld des Imperators. Dann hätten wir nicht die geringste Aussicht auf Erfolg.«
»Das weiß ich.«
»Dann weißt du auch, dass wir nur eine einzige Chance haben: morgen. Da sind fast alle Mitstreiter der Mutter im Turm versammelt. Das ist die Gelegenheit für uns. Wir haben alles bestens vorbereitet. Es gibt also keinen Grund, jetzt zurückzuschrecken.«
Thia nickte zögernd.
»Was beunruhigt dich dann?«, wollte Ghinorha wissen.
»Um mich habe ich keine Angst. Du weißt, dass ich zusammen mit dir und Rethar bis zum Äußersten ginge … Aber es wäre mir lieber, wenn es nicht zu einer offenen Konfrontation käme. Was meinst du? Bestehen Aussichten, dass wir uns auf friedlichem Weg einigen?«
»Ich werde dich nicht anlügen, deshalb antworte ich ganz offen: Ich weiß es nicht. Möglich wäre es schon … Tsherkana glaubt, es werde nicht ohne Blutvergießen abgehen, Talki dagegen meint, es reiche, die führenden Köpfe im Rat, also vor allem Soritha, zu isolieren, dann ließe sich alles friedlich regeln. Denn zu viele sind mit der gegenwärtigen Lage unzufrieden. Und sie alle würden uns anhören, sobald ihnen niemand mehr vorschreibt, was sie zu denken haben.«
»Und du? Kannst du dir vorstellen, dass Soritha und ihr Geschmeiß sich auf eine friedliche Lösung einlassen?«
»Ich werde jedenfalls alles dafür tun«, erklärte Ghinorha, und ihre grünen Augen verdunkelten sich. »Du wirst doch morgen an der Seite deiner Lehrerin sein?«
»Ja. Wenn es jedoch hart auf hart kommt …«
»… werden Rethar, Mithipha, Schalf und Rika auch noch anwesend sein.«
Thia nickte mit finsterer Miene. Die Kräfte von ihnen fünf dürften in jedem Fall ausreichen, welchen Widerstand auch immer Soritha morgen leisten mochte.
»Aber dass wir uns friedlich einigen, hältst du für ausgeschlossen?«, hakte Thia noch einmal nach.
»Mit Soritha?«, entgegnete Ghinorha und sah der anderen fest in die Augen. »Nein, es bestehen wohl kaum Möglichkeiten für eine friedliche Einigung. Es sei denn, wir können sie davon überzeugen, dass wir nichts zu verlieren haben. Aber eins weiß ich mit Sicherheit, Thia: Wir werden nicht diejenigen sein, die den Kampf eröffnen.«
»Nur beruhigt mich das nicht. Tut mir leid, Ghinorha, aber für mich ist es nicht so einfach wie für dich, meine Ängste und Zweifel zu unterdrücken. Ich bin nämlich nicht so stark wie du.«
Ghinorha erhob sich mit einer eleganten Bewegung von dem Dreifuß, trat dicht an Thia heran, drückte deren Kinn mit dem Finger nach oben und sah ihr in die braunen Augen mit den goldenen Sprenkeln.
»Manchmal sind wir stärker, als wir annehmen«, erklärte sie. »In deiner Seele liegt ein stählerner Kern verborgen, glaub mir. Und du bist eine ausgesprochen talentierte Funkenträgerin. Obendrein vertraut dir Rethar. All das genügt mir, nicht den geringsten Zweifel an dir zu haben.«
»Du scheinst mich besser zu kennen als ich mich selbst«, antwortete Thia leise.
Die schönen Lippen Ghinorhas verzogen sich zu einem Lächeln.
»Du hast Angst, aber dessen brauchst du dich nicht zu schämen«, versicherte sie. »Denn alle haben Angst. Alle haben Zweifel. Aber du, ich und die anderen, wir wissen auch, dass wir nur tun, was längst überfällig ist. Der morgige Tag wird die Welt verändern. Ob zum Guten oder zum Schlechten, lässt sich noch nicht sagen. Sollte uns das Glück jedoch hold sein, erzielen wir einen Erfolg. Dann werden wir bereits in einem Jahr, in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren miterleben, wie das Saatkorn aufgeht. Dann werden wir mit einer reichen Ernte belohnt.«
»So fest glaubst du an unsere Sache?«
Es folgte ein kurzes Lachen.
»Wenn ich das nicht täte, hätte ich Tsherkana und Talki bestimmt nicht gewähren lassen«, erklärte sie.
»Hättest du sie denn aufhalten können?«
»Das weiß man immer erst, wenn man es versucht hat.«
Daraufhin
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