Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
sich gezogen.
Sie war zu Boden gefallen und schmerzhaft mit dem Knie aufgeschlagen. Tränen schossen ihr aus den Augen. Der Nekromant wollte schon auf sie eintreten, aber da griff Pest ein. Er verpasste Kadir mit seiner schaufelartigen Pranke eine derartige Ohrfeige, dass dieser fast rücklings in die Nesseln gefallen wäre.
»Dass mir das nie wieder vorkommt!«, brüllte Pest ihn an.
Völlig in sich zusammengesunken entschuldigte sich Kadir bei Pest, der ihn jedoch keines weiteren Blickes würdigte.
»Du kommst mit mir«, erklärte der Verdammte Algha nun. Inzwischen hatte diese jedoch die Beherrschung über sich verloren und weinte hemmungslos, weil ihr die Flucht erneut missglückt war.
Mit einem leisen Pfiff rief Pest sein Pferd. Er schwang sich in den Sattel und streckte Algha die Hand entgegen, damit sie hinter ihm aufsitzen konnte. Der Mann roch nach Schweiß, Bärenfell, grob gegerbtem Leder und Tannennadeln.
»Muss ich noch erwähnen, dass ich ausgesprochen wütend wäre, wenn du versuchst, mir genauso zu entfliehen wie diesem Wurm?«, fragte er, ohne sich zu Algha zurückzudrehen.
»Nein«, antwortete sie leise.
Diese Antwort schien ihm zu genügen.
Vor dem Haus empfing Batul sie. Die Nekromantin sah Algha forschend, wenn auch nicht missbilligend an und ließ sich vor dem Verdammten auf ein Knie nieder.
»Ich grüße Euch, Herr Ley. Die Sterngeborene wartet.«
Pest nickte nur mürrisch, saß ab, legte den Arm um Alghas Taille und hob sie vom Pferd, als wöge sie nicht mehr als eine Feder.
»Wo habt ihr sie untergebracht?«
»Ich führe Euch hin«, antwortete Batul und verneigte sich noch einmal.
Die schwere Pranke des Verdammten legte sich auf Alghas Schulter und stieß sie entschlossen, aber nicht grob vorwärts. Mit gesenktem Kopf begab sich Algha folgsam zurück in ihre Zelle.
Dort angekommen, musterte der Verdammte den Raum eingehend. Sein Blick huschte kurz über Mitha hinweg, die sich gegen die Wand presste. Dann trat er ans Fenster und lugte hinunter.
Batul bedeutete Algha wortlos, sich aufs Bett zu setzen. Diese kam der Aufforderung nach, zog die Beine an und beobachtete mit finsterer Miene den Verdammten. Der drehte sich gerade zu ihr um und starrte sie an. Mit einem Mal grinste er – und sein grobes, von Falten durchfurchtes Gesicht wirkte fast freundlich.
»Du hast eine verzweifelte Kühnheit bewiesen, Mädchen«, sagte er. »Ich hätte das nicht gewagt. Bereitet sie Euch große Schwierigkeiten, Batul?«
»Ja, Herr. Das ist nicht ihr erster Fluchtversuch gewesen. Abgesehen davon hat sie den Bruder des Herrn Ka ermordet.«
»Dawy? Das ist mehr als erstaunlich.«
Diese Neuigkeit scheint ihn überhaupt nicht zu verstimmen, stellte Algha verwundert bei sich fest.
»Versucht Kadir klarzumachen, dass es mir ausgesprochen missfallen würde, wenn er weiterhin ohne Anlass zu Gewalt neigt.«
»Das werde ich.«
Vor dem Fenster bildete sich nun ein leuchtendes Gitter.
»Bei deinem nächsten Versuch hättest du vielleicht weniger Glück und würdest dir den Hals brechen«, wandte sich Pest an Algha. Danach verließ er die Zelle, ohne noch ein Wort zu sagen.
Während der Reise in diesem Holzkäfig hatte Algha ihn noch ein paarmal gesehen. Er ritt weit vor ihr, neben Blatter. Fast eine Woche war die gewaltige Armee auf Korunn zumarschiert. Und nun sollte der Sturm auf die Hauptstadt beginnen …
Die Hörner tönten schon wieder. Algha riss sich von ihren Erinnerungen los und stand vom Bett auf. Mitha blieb zusammengekauert sitzen und knabberte an ihren Fingernägeln. Sie schien in ihrer ganz eigenen Welt zu weilen. Zum wiederholten Mal sandte Algha ein Stoßgebet zu Meloth, er möge verhindern, dass jemals irgendjemand sie in ein solches Häufchen Elend verwandelte. Mittlerweile meinte sie, zwei Mithas zu kennen: jene, die im Regenbogental zusammen mit ihr gelernt hatte, und jene gebrochene Frau vor ihr.
Der Tag war inzwischen vollends heraufgezogen. Am Himmel ballten sich immer mehr Wolken zusammen, und Regen kündigte sich an.
Algha spitzte die Ohren und trat nicht eine Minute vom Fenster weg. Die Hauptstadt war jedoch zu weit entfernt, als dass sie hätte sagen können, ob die Schlacht bereits begonnen hatte.
Eine Stunde später betrat Kadir in Begleitung von Nadel und Gritha entschlossenen Schrittes ihr Zimmer. Er musterte Algha kalt, stieß die Spitze seines Stabs gegen die schlotternde Mitha und zischte Nadel zu: »Die nimmst du.«
Mitha leistete keinen Widerstand, sondern
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