Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
anderen hinüber.
»Ja!«, antwortete Ga-nor.
»Pork! Kannst du eine Brücke schaffen?«
»Leider nein!«, antwortete Typhus.
»Was ist mit Euch, Herrin?«, wandte sich Rando an Rona, die jedoch lediglich den Kopf schüttelte.
»Wir gehen zurück und suchen einen anderen Weg«, schrie Ga-nor.
»Ich werde euch schon finden!«, rief Typhus – woran ich nicht im Geringsten zweifelte.
Wenn uns jemand finden würde, dann sie. Denn sie brauchte Shen. Sie rief ihm noch einige Anweisungen für verschiedene Geflechte zu, die er üben sollte.
»Der Tod Mylord Woders tut mir leid«, wandte ich mich an Rando.
Er nickte nur mit finsterer Miene.
Und dann bebte mit einem Mal die Erde unter unseren Füßen. Ein gewaltiges Stück am Rand der Schlucht brach ab, sodass ich fast das Gleichgewicht verloren hätte. Noch in derselben Sekunde beruhigte sich aber wieder alles.
»Aus, du Hund!«, fiepte Yumi und sprang davon.
»Zurück!«, schrie Rando.
Die Erde geriet erneut in Aufruhr. Ein riesiger Felsblock krachte donnernd in die Tiefe – und mein Herz folgte ihm bereitwillig.
Rando und ich stürzten zurück. Unter Shen und Rona brach jedoch der Boden weg. Wie durch ein Wunder fanden sie allerdings Halt auf einem schmalen Vorsprung und krallten sich verzweifelt an den eisigen Steinen fest. Ohne lange nachzudenken, warf ich mich zu Boden und streckte ihnen die Hände entgegen. Sie griffen sofort danach. Genau in diesem Augenblick krachte der Steinsims in die Tiefe – und ihre Beine baumelten in der Luft.
Als Typhus sah, wie die beiden über dem Nichts hingen, rief sie etwas.
Der Abgrund wollte mich langsam, aber sicher zu sich holen …
»Haltet durch!«, brüllte Rando. Ich schloss die Hände noch fester um die Arme der beiden, während der Ritter mich bei den Fesseln packte und nach hinten schleifte.
Ich fürchtete bereits, mir gleich ein Gelenk auszukugeln. Trotzdem versuchte ich mit aller Verzweiflung, Shen und Rona zu halten, während Rando uns zurückzog.
»Rette sie, Ness!«, schrie Shen mir zu.
Bis zum Rand fehlte nicht mehr viel, aber ich spürte, wie Ronas Arm nach und nach aus meiner Umklammerung glitt.
»Lass sie nicht los!«, brüllte Shen erneut, der mit den Füßen vergeblich Halt an der Felswand suchte, um mir meine Aufgabe zu erleichtern.
Der Schmerz trieb mir die Tränen in Sturzbächen aus den Augen. Und obwohl ich Rona mit jedem Augenblick mehr verlor, gab ich nicht auf.
»Halt das Mädchen fest, Ness!«
Ich meinte, Lahens Stimme zu hören.
Shen zappelte wie wild, um sich meinem Griff zu entziehen und Rona auf diese Weise zu retten, aber ich hielt ihn fest gepackt. Rona jedoch entglitt mir und fiel schreiend in die Tiefe. Ihren Namen rufend, verfolgte ich, wie der Nebel sie schluckte. Shen riss sich mit wilder Anstrengung los und stürzte ihr nach. Im nächsten Moment zog mich Rando vom Rand weg.
»Verzeih mir, mein Junge!«, hauchte ich.
Auf der anderen Seite stieß Typhus einen verzweifelten Schrei aus.
Ich weinte. Und Lahen weinte mit mir.
Kapitel
10
»He, Grauer«, rief mich jemand. »Das Essen wird kalt.«
Ich besserte gerade den Griff meines leichten Kurzschwerts aus, und ohne meine Beschäftigung aufzugeben, nickte ich, um zu zeigen, dass ich ihn gehört hatte. Erst als die Arbeit beendet war, begab ich mich in die Küche.
Bei den dampfenden Kesseln, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen, herrschte ordentliches Gedränge. Genau wie alle anderen stellte ich mich an. Die Privilegien als Kommandeur machte ich mir nicht gern zunutze, schließlich saßen wir alle zusammen in derselben stinkenden Latrine – und sich vorzudrängeln gehört sich nicht, wenn du Schulter an Schulter mit jemandem kämpfst.
Die Grütze, die ich in die Holzschale bekam, war trübe wie ein später Herbsttag, dazu gab es ein paar Brocken Hammelfleisch.
»Isst dein Freund auch etwas?«
»Aus, du Hund!«, kreischte Yumi, der zwischen meinen Füßen herumwuselte.
Ich hielt das für eine bejahende Antwort, nickte und bekam eine zweite Schale in die Hand gedrückt. Wir suchten uns ein ruhiges Plätzchen und machten es uns an einem entwurzelten Baum bequem, ganz in der Nähe der Lazarettzelte. Ich reichte dem Waiya seine Portion.
»Aus, du Hund!«, sagte Yumi und machte sich mit großem Ernst über sein Essen her.
»Auch dir einen guten Appetit!«, erwiderte ich grinsend und griff nach dem Löffel.
Um uns herum lag immer noch Schnee, aber es war bereits frühlingshaft warm, und der Wind,
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