Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
Gewissen …«
Ich brummte bloß etwas Unverständliches und blieb bei ihr.
Keine Ahnung, warum. Vielleicht, weil ich meinte, nicht das Recht zu haben, auf dem Absatz kehrtzumachen.
In der Schlucht war niemand. Die Soldaten hatten sich längst am Grokh-ner-Tokh versammelt.
Je weiter wir uns vom singenden Berg entfernten, desto größer wurde meine Anspannung. Ich ritt hinter Typhus. Irgendwann war für mich jeder Zweifel ausgeräumt: Sie hatte mir ein Lügenmärchen aufgetischt. Bestimmt gab es weit und breit keine Schreitende, und Typhus wollte mich nur an einen einsamen Ort locken, um mich in aller Seelenruhe zu töten. Meine Hand langte von selbst nach dem Funkentöter. Prompt rührte sich Lahen in mir …
In der Schlucht pfiff ein fürchterlicher Wind. Als es zum dritten Mal an diesem Tag Asche regnete, fegte um uns herum ein echter Sturm los. Ich musste mir den Schal fest vors Gesicht ziehen und auch dem Pferd einen Lappen ums Maul binden. Typhus handhabte es genauso.
Die kleinen grauen Flocken, irgendeine verfluchte Mischung aus Sand und vulkanischen Glassplittern, rieselten mir am Hinterkopf trotzdem in den Ausschnitt und schlitzten meine Haut bis aufs Blut auf. Zum Glück kriegte ich wenigstens keins von den Dingern in die Augen.
»Hauptsache, es fängt nicht an zu regnen«, sagte Typhus. »Dann verwandelt sich dieses Zeug nämlich in Stein.«
»Wäre das so schlimm?«
»Ich habe noch meine Pläne mit dem Sand.«
Ich fragte nicht, welche.
Immerhin hörte der Ascheregen nun schon wieder auf.
»Behalt den Schal trotzdem vorm Gesicht«, schärfte sie mir ein. »Es darf uns niemand erkennen.«
»Wird denn überhaupt irgendjemand dieses kleine Stelldichein überstehen, um sich dann noch an uns zu erinnern?«
Doch noch ehe sie antworten konnte, bogen Reiter auf ausgelaugten, über und über mit Asche bedeckten Pferden um die Ecke. Insgesamt sechs. Bevor ich jedoch überhaupt irgendetwas begriff, trat ein riesiger, unsichtbarer Fuß auf sie ein. Eine Aschewolke wirbelte in die Luft auf. Mein Pferd wäre mir in seiner Panik beinah durchgegangen. Typhus’ Tier schien dagegen in eine Art Starre zu fallen, während die Verdammte selbst einen lilafarbenen Schädel in den Aschevorhang schleuderte. Er explodierte inmitten dieser grauen Wolke und beleuchtete die Schlucht.
»He, Ness!«, schrie Typhus. »Mir nach!«
Diesmal verweigerte ich jedoch den Befehl und beobachtete stattdessen, was geschah: Sobald die Asche zu Boden gesunken war, sah ich einen tiefen Krater, in dem Reiter und Tiere lagen. Von ihnen zeugten nur noch zerschmetterte, purpurrot angelaufene Knochen, die glänzten, als seien sie mit Lack überzogen. Der Anblick war derart ekelhaft, dass ich – obwohl ich eigentlich schon Schlimmeres gesehen hatte – fast gekotzt hätte.
Für Verdammte sollte wirklich kein Platz auf dieser Welt sein – wenn sie innerhalb von Sekunden
dergleichen
anzurichten vermochten.
Zu meiner Überraschung lebte die Schreitende noch. Die schon angejahrte Frau saß mit dem Rücken gegen einen großen Felsbrocken gelehnt vor uns. Ein Bein war völlig unnatürlich verrenkt. Sie streckte beide Arme aus, überkreuzte sie und sah Typhus an. In ihren dunklen Augen brannten Hass und Verzweiflung.
Die beiden Gegnerinnen schienen sich gegenseitig unsichtbare Messer ins Fleisch zu treiben. Dass sie gegeneinander kämpften, stand jedenfalls außer Zweifel. Um ihre Körper schimmerte ein durchscheinendes Licht. Ich trat etwas vor, um diese Auseinandersetzung zu beenden. Selbst mit einer Schreitenden konnte man doch schließlich reden …
»Wie willst du ihren Tod eigentlich erklären?«, fragte ich Typhus, fieberhaft nach einem Argument suchend, um den Mord zu verhindern.
»Aber das war doch ein Nekromant«, erklärte sie grinsend.
»Klar doch!«, sagte ich und stellte mich zwischen die beiden.
Daraufhin schrie Typhus bloß etwas – und ich wurde nach hinten geschleudert, sodass das Duell weiterging. Noch bevor ich wieder aufgestanden war, hatte es dann auch schon sein Ende gefunden. Die Schreitende war tot.
»Du bist einfach widerlich!«, spie ich aus.
»Ich habe nicht nur meine Haut gerettet, sondern auch die deiner beiden Freunde«, parierte sie. »Ob du mir nun glaubst oder nicht. Verflucht!«
Den Soldaten, der den Angriff überlebt hatte und nun auf dem Hang des nächstliegenden Berges eilig davonkroch, sahen wir beide gleichzeitig. Typhus hatte ihre Gabe noch nicht angerufen, da war der Mann auch schon
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