Sturm im Elfenland
vorbei. Süßer Rosenduft umhüllte sie wie eine zarte Wolke.
Aindru sah ihr mit offenem Mund nach. »Wer ist das?«, wiederholte er.
»Osane, Tochter des Edlen Argider«, antwortete der Stallbursche und schnaubte. »Eine schwierige junge Dame. Ganz anders als die freundlichen jungen Herrschaften, die ich hier vor mir sehe.« Er vollführte einen ungeschickten Kratzfuß, der Garnet zum Lachen brachte.
»Der Apfelschimmel gehört ihr?« Sie zog den Burschen in ein schnell ins Fachsimpeln ausartendes Gespräch, das Alana noch mehr langweilte als der Stallrundgang zuvor. Sie hörte eine Weile mit steigender Ungeduld zu, dann rief sie: »Ich bin im Zimmer«, und ließ die anderen stehen.
Daina schimpfte ein wenig, weil Alana ihr vorhin davongerannt war. Alana fand sich so schnell in ihrem steifen, kitzelnden, pikenden Kostüm wieder, dass ihr ganz schwindelig wurde. Sie stand auf dem niedrigen Hocker, hielt die Arme in die Luft und drehte sich immer, wenn die Näherin, deren Mund voller Nadeln steckte, ihr einen kleinen Schubs in die gewünschte Richtung gab.
Alana seufzte. Gab es etwas Langweiligeres und gleichzeitig Unangenehmeres als eine Anprobe?
»Arme runter«, befahl die Näherin nuschelnd. Alana folgte und schüttelte ihre Hände aus, die eingeschlafen waren und kribbelten. »Nicht wackeln«, schimpfte ihre Mutter, die den Vorgang bequem aus einem kleinen Sessel überwachte. Sie hielt eine Tasse mit dampfender Schokolade auf dem Schoß und nippte gelegentlich daran. Der süße Duft zog verlockend an Alanas Nase vorbei. Sie seufzte wieder.
Die Näherin steckte energisch ein halbes Dutzend Nadeln in Alanas Taille und klapste auf ihren Fuß, damit diese sich umwandte. »Au«, beschwerte Alana sich, denn mindestens vier der Nadeln hatten sie gekratzt. Sie drehte sich und blickte zum Fenster hinaus.
Die Wolken hingen so tief, dass sie beinahe die Türme des Schlosses zu berühren schienen. Es war so dunkel geworden, als bräche schon die Nacht herein, dabei war gerade erst Mittag vorbei. »Es fängt an zu schneien«, sagte Alana besorgt.
»Sehr schön«, murmelte ihre Mutter zerstreut, die der Näherin scharf auf die Finger sah. »Dort muss der Überrock noch etwas mehr gerafft werden. Sie soll ja beim Tanzen nicht darüberstolpern.«
Der Nachmittag zog sich in die Länge. Vor dem Fenster hatte dichtes Schneetreiben eingesetzt. Alana wurde wieder zum Fenster gedreht und bemerkte, dass sie draußen kaum noch etwas erkennen konnte. Der Himmel erschien beinahe schwarz. Der frisch gefallene Schnee im Hof glänzte hell und warf den Lichtschein aus den Fenstern des Schlosses zurück.
Durch den fallenden Schnee konnte sie schemenhaft den Eingang zum Hof erkennen, die dunklen Türen, die nachts zugeschlossen wurden, und die beiden hellen Flecken des Feenlichts rechts und links auf den Torpfosten, die den Eingang beleuchteten. Das Licht ließ die herabfallenden Flocken gespenstisch leuchten.
Es wäre ein schöner, verzauberter Anblick gewesen, aber Alana fühlte eine Gänsehaut über ihren Rücken und ihre Arme laufen. Sie schauderte.
»Ist dir kalt?«, fragte ihre Mutter. »Du bist gleich fertig, dann kannst du hier am Feuer unter die Decke kriechen und bekommst eine schöne Tasse Schokolade.«
Alana hörte Dainas Stimme nur aus weiter Ferne. Ihr Blick haftete gebannt auf den leuchtenden, tanzenden Schneeflocken und dem tiefschwarzen Schatten zwischen den Torpfosten. Etwas Schreckliches näherte sich. Etwas Dunkles, Großes und Grauenvolles, so dunkel, dass es einem tiefen Riss in der Nacht glich, hinter dem noch schwärzere Finsternis lauerte. Eine Finsternis, aus der tausend Augen starrten.
Es kam näher, wuchs empor, bis es das Tor überragte und darüber hinwegwucherte, den Schnee verschluckte, gierig das Licht verschlang, alles auslöschte, was in seinem Weg war. Das Finstere kam stetig, unaufhaltsam auf das Schloss zu. Alles Licht im Hof war erloschen. Das Dunkel kroch an der Fensterscheibe empor, suchte nach einer Ritze, einer Fuge, durch die es ins Zimmer dringen konnte. Es suchte nach ihr. Sie spürte, wie es nach ihr griff.
Alana löste sich aus ihrer Erstarrung. Sie griff nach dem Sternenstein, der eiskalt auf ihrer Brust lag, umklammerte ihn fest und rief: »Geh weg!«
Das klang eher jämmerlich und nicht besonders gebieterisch, aber sie wiederholte: »Geh! Geh weg von mir!«
Das Dunkel war im Zimmer und löschte die Lichter und das Feuer im Kamin. Es wurde frostig kalt. Etwas griff nach ihren
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