Sturm im Elfenland
Draußen schloss er das Tor wieder hinter sich, grinste und legte einen Schutzzauber darüber, der die Stallmeisterin sicher ein wenig ins Schwitzen bringen würde.
Während er über den Hof lief, folgte ihm der Fuchs mit ruhigem Schritt. Dies war der gefährlichste Moment, in dem er jederzeit entdeckt werden konnte. Ivaylo hüllte sich in einen augentäuschenden Bergezauber, aber seine Kraft reichte nicht aus, um auch das Pferd zu verhüllen. Er musste auf sein Glück vertrauen.
Das kalte Mondlicht war so hell, dass jede Einzelheit des Gebäudes und seiner Umgebung scharf und klar zu erkennen war. Es wäre leichter für ihn gewesen, wenn Dunst und Wolken den Himmel verhüllt hätten, aber Ivaylo strengte seine Fähigkeiten an, wie sein Vater es ihn gelehrt hatte. Er näherte sich dem Hoftor, durchquerte es und blieb dahinter im Schatten der Bäume stehen, in Schweiß gebadet und zitternd vor Erschöpfung. Der Fuchs wartete geduldig an seiner Seite.
Ivaylo hielt den Atem an und lauschte. Er glaubte, verstohlene Schritte gehört zu haben. Zwischen den Bäumen war es dunkel und den Weg säumte dichtes Buschwerk. Es raschelte und ein Vogel gluckste leise, aber dann war es wieder still.
Ivaylo kletterte auf den Rücken des Pferdes und schnalzte leise mit der Zunge. Der Fuchs setzte sich gemächlich in Bewegung, während Ivaylo sich weiterhin wachsam umblickte.
Erst, als er sich ein gutes Stück vom Haus entfernt und den Saum des kleinen Wäldchens erreicht hatte, bemerkte er, wie sehr er sich anspannte, und entließ einen langen, tiefen Atemzug. »Schattenwald«, sang er voller Vorfreude vor sich hin.
Er ritt in den Wald hinein und tauchte ins Herz der Dunkelheit. Zwischen den Bäumen nistete finstere Nacht. Der Fuchs setzte achtsam die Hufe voreinander und bewegte unruhig den Kopf. Tierlaute begleiteten ihren Weg, und die Schritte des Fuchses klangen dumpf auf dem weichen Boden.
Ivaylo ließ das Pferd seinen Weg allein finden und lenkte seine Aufmerksamkeit nach innen. Sie würden sicherlich nach ihm suchen, wenn er morgen weder zum Unterricht noch zum Essen erschien, aber wahrscheinlich erst gegen Abend, denn er hatte sich seit seiner Ankunft schon öfters einen halben Tag oder länger in seinem Zimmer oder im Stall vergraben. Die Spuren, die er jetzt hinterließ, waren bis dahin sicher größtenteils verschwunden oder von anderen überdeckt. Trotzdem war es besser, auch über sie noch einen Bergezauber zu legen, wenn er dafür noch Kraft genug besaß.
Er schloss die Augen, denn der Fuchs folgte auch ohne seine Führung sicher und ruhig dem Weg. Ivaylo summte eine eintönige kleine Melodie und stellte sich vor, wie der Weg zum Haus von ihren Spuren gereinigt wurde. Bepelzte Pfoten liefen über die Spur, Krallen scharrten daran herum, winzige Füße trippelten darüber hinweg, ein Katzenschwanz peitschte heftig hin und her und wischte sie aus, Vögel suchten auf ihr nach Würmern und Samen, ein Windstoß wehte Laub und trockenes Gras darüber, ein kleiner Regenschauer entlud sich am Rand des Waldes und war gleich schon wieder vom Wind getrocknet.
Ivaylo stieß den Atem aus und öffnete die Augen. Farran hätte ihm jetzt die Hand auf die Schulter gelegt und »Gut gemacht, mein Sohn« gesagt. Er blinzelte die aufsteigenden Tränen weg.
»Lauf, Abendrot«, sagte er halblaut. »Wir haben noch ein ordentliches Stück Weg vor uns.« Bis zum frühen Mittag wollte er den östlichen Rand des Schattenwalds erreicht haben. Dann musste er noch die Steinhügel mit ihren moosbewachsenen Findlingen überqueren und quer durch das Dornental ‒ was kein Vergnügen war ‒, und er war zu Hause.
Er summte seine Müdigkeit fort. Es war dumm, dass er keinen Proviant für sich und Abendrot mitgenommen hatte, aber wie hätte er das erklären sollen? Mit einem kleinen Ausflug? Er lachte in sich hinein. Inzwischen kannte er die Familie seines Onkels gut genug, um zu wissen, dass wahrscheinlich alle hätten mitkommen wollen: seine Tante und der Hauslehrer, Alana und ihre Freundin Garnet, der Eidmann Edur als Begleiter, ein Stallknecht, der sich um die Pferde kümmerte, und eine Dienerin, die den Proviantkorb trug. Das verstand die Familie unter einem »kleinen Ausflug«.
Der gleichmäßig wiegende Schritt des Pferdes ließ ihn schläfrig werden. Es war so dunkel zwischen den Bäumen, dass er mehr auf sein Gehör als auf seine Augen vertrauen konnte.
Als der Fuchs plötzlich anhielt, benötigte Ivaylo einen Moment, bis er
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