Sturm im Elfenland

»Versteck dich«, keuchte Ivaylo und stemmte sich mit hochrotem Kopf gegen die Tür. »Geh zu, du Mistding!«
    »Das Buch klemmt«, rief Alana ihm zu und sah sich hektisch um.
    Wo sollte sie sich verstecken? In der Nische neben der Tür? Zu klein. Hinter einem Vorhang? Das sah man auf den ersten Blick. Unter dem Tisch? Sie drehte sich wild im Kreis. Die Schritte kamen näher und hielten vor der Tür an. Alana kroch kurzerhand unter die lange Bank neben der Nische, machte sich ganz klein und hoffte, dass sie hier in der dunkelsten Ecke des Zimmers nicht auf den ersten Blick auffallen würde.
    Ivaylo hörte auf, an der Schranktür herumzudrücken. Er sprang zum Tisch und setzte sich, beugte sich über ein Buch und tat so, als wäre er ganz in die Lektüre versunken. Seine Brust hob und senkte sich heftig.
    Die Tür sprang auf und Erramun trat ein. »Du bist ja noch hier«, hörte Alana ihn sagen. Der Lehrer ging an ihrem Versteck vorbei zum Tisch.
    Alana drehte sich ein wenig, um einen Blick auf das Zimmer und die Schranktür zu erhaschen.
    »Ich wollte noch etwas nachlesen«, behauptete Ivaylo.
    »Fleißiger Bursche«, kommentierte Erramun. »Lass dich nicht stören. Ich will nur ein paar Bücher wegräumen.«
    Er nahm einen der beiden Stapel, die er gerade abgesetzt hatte, wieder vom Tisch auf. Alana sah, wie er zum Schrank ging und hielt sich entsetzt den Mund zu. Aber Erramun würdigte das Möbelstück keines Blickes, er ging daran vorbei und begann, die Bücher in das Regal an der Stirnwand zu sortieren. Alana atmete erleichtert auf.
    »Was liest du?«, fragte Erramun, ohne sich umzudrehen.
    »Alltagszauber«, erwiderte Ivaylo. »Ich will wissen, wie man mit Feensilber arbeitet, aber darüber finde ich hier nichts.«
    Alana verdrehte entsetzt die Augen. Das war ein gefährliches Spiel. Was, wenn Erramun nun fragte, wozu Ivaylo das wissen wollte?
    Der Lehrer schob zwei Bücher an ihren Platz, ging zum Tisch und nahm den zweiten Stapel auf. »Feensilber«, sagte er. »Das ist nichts für Anfänger. Wie hast du davon erfahren?«
    Ivaylo antwortete nicht gleich. »Weiß ich nicht mehr«, entgegnete er dann gleichgültig. »Wahrscheinlich hat mein Vater mal davon gesprochen.«
    Die Antwort schien Erramun zu befriedigen. Er nickte und drehte sich um. Und jetzt ‒ jetzt ging er zum Schrank! Alana biss sich vor Aufregung auf den Finger.
    »Ich kann dir etwas über Feensilber heraussuchen«, hörte sie ihn sagen. »Vielleicht bist du ja schon fortgeschritten genug ‒ nanu? Was ist denn das?« Erramun bückte sich und zog an dem Buch, das in der Schranktür klemmte. Die Tür sprang knarrend auf. Alana hörte, wie Ivaylo sich verlegen räusperte.
    »Warst du das?«, fragte Erramun erstaunlich gelassen.
    Ivaylo murmelte etwas.
    »Wie hast du den Bann gebrochen?« Erramun legte die Hand über das Schloss und lauschte. »Ah, ich kann es erkennen.« Zu Alanas Erstaunen lachte er leise. »Das hast du dir aber nicht gerade leicht gemacht, Ivaylo. Schau mal her, so geht das viel einfacher.« Er drehte sich zu dem Jungen um, und Alana, die aus dem Staunen nicht mehr herauskam, reckte den Hals, um zu sehen, was er tat.
    Erramun beugte sich zu Ivaylo hinunter und zeichnete etwas auf die Tischplatte. Der Junge starrte konzentriert darauf hinab und nickte gelegentlich. »Ja«, hörte Alana ihn schließlich sagen, »das ist wirklich einfach. Darauf hätte ich kommen müssen.«
    Der Lehrer klopfte ihm auf die Schulter und ging wieder zum Schrank zurück. Gelassen, ohne ein Zeichen der Verärgerung, begann er, die Bücher einzuräumen.
    Eine Weile war es still. Dann sagte Erramun: »Das hast du also gesucht. Und du erzählst mir etwas von Feensilber … Du hast aber gefährliche Interessen, Junge.«
    »Bitte?«, fragte Ivaylo höflich. Alana hörte, dass seine Stimme leise zitterte.
    »Das Buch, das hier fehlt. Wo hast du es versteckt?«
    Ivaylo seufzte und stand auf. Er nahm das Buch, auf dem er gesessen hatte, und reichte es Erramun.
    Der Lehrer wog es in der Hand, schaute es nachdenklich an und gab es dem Jungen zurück. »Gut. Dann werden wir ein wenig damit arbeiten, was meinst du?«
    Ivaylo riss die Augen auf. »Aber, aber das ...« stotterte er, »das ist ... du machst einen Witz!«
    Alana hielt es kaum noch unter ihrer Bank. Was war das für ein Buch? Um Feensilber ging es darin ja offensichtlich nicht.
    »Ich mache nie Witze«, erklärte Erramun streng. »Pass auf, Ivaylo. Versprich mir, dass du nicht ohne meine Anleitung damit