Sturm: Roman (German Edition)
unzureichend ausgeleuchteten Finsternis weitermarschiert waren, laut und deutlich fragte: »Und wieso glaubt ihr, dass wir hier je wieder rauskommen? Wir haben uns doch schon längst hoffnungslos verirrt, das will bloß keiner von euch zugeben.«
Seine Worte trafen Dirk wie vergiftete Pfeile. Inzwischen waren sie seit mindestens einer Stunde unterwegs, ohne dass sich die Umgebung nennenswert verändert hatte. Im unruhigen Licht aus Karels Lampe war lediglich schroffer, nackter Fels zu sehen, Gänge, die bedrohlich eng zuliefen, um sich dann wieder zu verbreitern oder in die nächste Höhle zu münden.
Es konnte durchaus sein, dass sie noch tagelang hier herumirrten, ohne einen Ausgang zu finden.
Gerade, als Dirks Gedanken an diesem Punkt angelangt waren, öffnete sich der beklemmende Gang, durch den sie seit einigen Minuten schritten, zu einer weiten Höhle – und dann sahen sie das Tageslicht, das vor ihnen auf den Boden fiel und sich mit dem Strahl der Stablampe vermischte, die auf Karels Maschinenpistole montiert war.
Karel stieß einen zischenden Laut aus. Mehr nicht, doch er klang ungemein erleichtert. Dirk erkannte, dass auch Boxernase befürchtet hatte, hier herumlaufen zu müssen, bis ihn irgendwann Tonnen von Gestein begruben.
»Und nun?«, fragte Dirk und trat in den Wind, der sie an dieser Schnittstelle zur Außenwelt fauchend erwartete und sofort nach seiner Kleidung und seinen Haaren griff und wie wild daran zerrte. Dirk achtete nicht weiter darauf. Er wollte wissen, was vor ihm lag. Nach der zermürbenden Wanderung, während der sie im Strahl der Gewehrlampe nichts anderes gesehen hatten als zerklüftete Felswände und dunklen, unebenen Boden, schmerzte das Sonnenlicht so sehr in seinen Augen, dass er sie zu schmalen Schlitzen zusammenkneifen musste und deswegen kaum etwas erkennen konnte.
Jan ging an ihm vorbei. Steine knirschten unter seinen Schuhen, kaum hörbar in den Geräuschen des tobenden Windes. »Ja«, sagte er, dann deutlich lauter: »Das könnte es sein.« Er drehte sich zu Kinah um. »Was meinst du? Sind wir hier richtig?«
Kinah schritt mit flatternden Haaren an Dirk vorüber. Sie bewegte sich geschmeidig wie eine Raubkatze, nicht wie eine erschöpfte und verängstigte Frau. Einmal mehr wurde Dirk bewusst, wie eng Schwäche und Stärke bei Kinah nebeneinanderlagen, wie fließend die Übergänge zwischen ihren Persönlichkeitsfassetten waren, zwischen der übersensiblen Künstlerin, die ihr Innerstes durch immer neue Projekte ausdrückte, und der Kämpferin, die sich auf zuweilen kaum nachvollziehbare Weise für ihre Familie und die ganze Welt einsetzte und dabei ständig Gefahr lief, sich zu übernehmen.
Und noch eines begriff er: wie sehr er diese Frau liebte.
Er beeilte sich, ihr zu folgen. Seine Augen hatten sich mittlerweile halbwegs an die Helligkeit gewöhnt. Nach einigen Schritten blieb er neben Jan und Kinah stehen und warf einen Blick auf das, was sie vor der Höhle erwartete …
Was sich ihm bot, war nicht die freie Sicht auf ein Tal und sanft abfallende Hänge, nicht der Ausweg aus dem steinernen Labyrinth, den er sich erträumt hatte, sondern eine steile Geröllhalde, die ihnen den Blick auf all das versperrte, was hinter ihr liegen mochte.
»Irgendwie habe ich mir das Tal anders vorgestellt«, sagte Jurij heiser. »Aber was soll's. Hauptsache, wir finden hier eine Kneipe.« Seine Stimme klang nicht scherzhaft, sondern bitter.
Dirk konnte den alten Mann verstehen. Das Sonnenlicht spiegelte sich auf den grauen, schwarzen und manchmal fast weißen Flächen der Halde und brach sich in Steinsplittern, sodass sie funkelten wie Diamanten. Doch wo die Sonne selbst war, konnte er noch nicht einmal mit in den Nacken gelegtem Kopf sehen.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Ventura.
Diese Aussage überraschte Dirk. Ventura war kein Mensch, der schnell Unbehagen äußerte.
»Wenn wir hinaufklettern«, fuhr Ventura fort und deutete nach oben, »kann uns jeder, der uns nicht wohlgesinnt ist, in aller Ruhe abknallen. Es gibt überhaupt keine Deckung.«
»Und warum sollte da oben jemand sein?«, fragte Jan.
»Wenn ich hier geheime Experimente durchführen würde, würde ich genau dort Posten aufstellen. Posten, die Gewehre mit Zielfernrohren haben und alles wegputzen können, was sich ihnen nähert.«
»Geheime Experimente.« Dirk nickte. »Das ist es also, was hier stattfindet. Experimente mit dem Thunderformer, nehme ich an.«
»Das habe ich dir doch gesagt«, behauptete
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