Sturm: Roman (German Edition)
Zeit die Schranke, und dann verbünden sich Sturmdämonen und Sturmgeister, toben über Land und Meer und reißen alles in einen Strudel der Vernichtung.«
»Komm mir bloß nicht mit Dämonen und Geistern!«, ereiferte sich Dirk. »Es gibt für alles eine naturwissenschaftliche Erklärung.«
»Ich spreche von den Verursachern, nicht von den hilflosen Erklärungsversuchen durch Wissenschaftler«, entgegnete der alte Mann und wog die Muscheln in den Händen. »Ich spreche von den alten Kräften, die meine Ahnen schon vor vielen zehntausend Jahren mit Namen benennen konnten, während die Wissenschaft eine unbrauchbare Theorie auf die andere türmt, nur um sie dann alle miteinander zu verwerfen.«
»Ich persönlich suche überhaupt nicht nach Erklärungen«, wandte Dirk ein. »Ich suche nach meinen Kindern.«
»Und wenn nun das eine mit dem anderen zusammenhängt?«, fragte der Schamane.
»Wie soll das möglich sein?«
»Ich habe es dir doch schon gesagt«, knarzte der alte Mann. »Orte, es geht um Orte. Um mystische Orte, Orte des Wandels und der Zerstörung. Unsere Ahnen haben sie in ihren Träumen gesehen und mit Tänzen und Ritualen zu besänftigen versucht. Die Wissenschaft spürt ihnen mit Messgeräten nach und findet Energiemuster, die sich in keine ihrer Theorien pressen lassen. Doch statt diese Orte zu meiden oder ihnen mit Respekt und Ehrfurcht zu begegnen, wie es unsere Vorfahren taten, glauben die Wissenschaftler, sich ungestraft ihrer besonderen Eigenschaften bedienen und sie herausfordern zu können. Sie sprechen von Experimenten und meinen Zerstörung. Sie reden davon, natürliche Energien nutzbar machen zu wollen, und rufen damit Geister und Dämonen herbei, die sie niemals bändigen können.«
»Das interessiert mich nicht«, sagte Dirk harsch. »Ich möchte einfach nur wissen, warum du mir meinen Sohn genommen hast. Und wo er jetzt ist.«
»Die Antwort liegt in meiner Hand.« Der Schamane hob die Muscheln höher. »In der Vergangenheit. In der Tatsache, dass hier einst eine Meeresbucht war und sich das Meer dieses Land wieder zurückerobern wird, wenn wir es nicht daran hindern.« Der Schamane drehte seine Hand langsam um, sodass die Muscheln hinausrutschten und in den Sand neben ihm fielen. »Leider haben wir nicht mehr viel Zeit. Sie sind auf dem Weg hierher.«
»Wer?«
»Die Krieger, die das schützen, was sie für ein Heiligtum halten. Seit alters treibt sie blinder Vernichtungswille an. Allerdings kommen sie heutzutage nicht mehr zu Fuß und tragen Speere in den Händen, sondern steigen wie Götter aus der Luft herab und verfügen über Waffen, die sich unsere Ahnen noch nicht einmal im Traum vorstellen konnten.« Der Schamane machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Keine Sorge. Ein paar Minuten bleiben uns noch.«
»Ein paar Minuten … wofür?«
»Dafür, dass ich dich auf den Kampf deines Lebens vorbereite.« Der Schamane seufzte leise. »Es ist nicht gut, in einen Kampf zu gehen, wenn man die Hintergründe nicht kennt.«
Kampf? Was für ein Kampf?
»Es ist an der Zeit, dass du so für deine Familie eintrittst, wie Männer das schon seit Hunderttausenden von Jahren tun«, erklärte der Schamane. »So, wie wir Menschen es von den Wesen übernommen haben, die über die gleiche Art von Seele, aber nicht über die gleiche Art von Verstand verfügen. So, wie es über die Ahnenkette von Mensch zu Mensch vererbt wurde.«
Dirk wurde schwindelig. Er wusste nicht, ob das an den Worten des alten Mannes lag oder an dem Feuer, das zunehmend qualmte. »Von welchem Kampf sprichst du, alter Mann?«
Der Schamane nickte. »Richtig. Ich werde nachlässig. Du weißt ja so gut wie nichts. Deinen Sohn konnte ich in den alten Gebräuchen unterrichten, aber dich …«
»Was für ein Kampf?«, unterbrach ihn Dirk ungeduldig.
»Die Zwillinge sind der Schlüssel.« Der Schamane griff nach unten und hob etwas auf. Dirk erkannte sofort, worum es sich handelte: um ein großes Wirbelstück. »Für solche Wirbel werden auf dem Schwarzmarkt hohe Preise bezahlt«, sagte der Weißhaarige. »Häufig werden sie bloß in Vitrinen zur Schau gestellt. Aber man kann auch etwas ganz anderes damit machen.«
»Du wolltest mich auf den Kampf vorbereiten«, erinnerte ihn Dirk.
»Nicht weit von hier befindet sich das Wadi Al-Hitan, ein uralter Friedhof«, fuhr der Schamane unbeirrt fort. »Dort entdeckten unsere Ahnen die Skelette gewaltiger Lebewesen. Sie hielten diese Knochen für die Überreste mächtiger Riesen,
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