Sturm ueber Cleybourne Castle
verzierten Kasten darunter hervor. Er war ziemlich groß, fast einen Fuß breit und auch beinahe so tief. Trotzdem war er leichter, als man beim ersten Blick vermutete.
Bewundernd strich sie über den seidenweichen Deckel und wollte gerade den winzigen Schlüssel umdrehen, als von der Tür her ein dumpfer Laut ertönte. Erschrocken wandte sie den Kopf und erblickte Lord Kestwick auf der Schwelle, der sie mit funkelnden Augen anstarrte.
„Also das ist des Rätsels Lösung!" rief er halblaut. „Es gibt noch einen zweiten Kasten."
Verständnislos blickte Jessica ihn an. „Was gibt es ..."
In diesem Augenblick durchzuckte sie eine Erkenntnis. Lord Kestwick hatte ihr Schmuckkästchen zerschlagen! Sie hatte zwar nicht die geringste Ahnung warum, doch die Art, wie er fasziniert auf den Kasten des Generals starrte, ließ keinen Zweifel daran aufkommen. Und nun klärten sich nach und nach auch alle anderen rätselhaften Vorgänge auf. Irgendjemand war in General Streatherns Haus eingedrungen und hatte sein Arbeitszimmer durchwühlt. Dann hatte sich nachts ein Unbekannter in das Kinderzimmer geschlichen. Hatte das alles diesem Kasten gegolten?
„Sie waren es also!" rief sie.
„Halten Sie den Mund!" Lord Kestwick schlug die Tür hinter sich zu und kam näher. In seinem Blick lag so viel Bosheit, dass es Jessica schauderte. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. Doch es war schon zu spät, denn ein gezielter Faustschlag traf sie am Kopf und warf sie zu Boden.
„Ja, ich war es", erwiderte er mit gefährlicher Ruhe. „Was ist denn schon dabei? Dieses Flittchen hat doch nichts anderes verdient."
Benommen blickte sie zu dem zornbebenden Mann empor, während sie langsam zu begreifen begann, dass Lord Kestwick Mrs. Woods getötet hatte.
18. KAPITEL
„Dieses verdammte Weibsbild ist mir dazwischengekommen", zischte Lord Kestwick, und für Jessica blieb es offen, ob damit sie oder Mrs. Woods gemeint war. Er packte sie am Handgelenk, zog sie empor und presste sie mit einem Arm wie mit Eisenklammern an sich. Dann holte er mit der anderen Hand einen kurzen Dolch mit einer haarfeinen Klinge aus der Tasche und hielt ihn ihr an den Hals. „Ein Wort, und ich schneide dir die Kehle durch!"
Ein paar Sekunden standen sie so vor dem Frisiertisch und betrachteten ihr Abbild im Spiegel. „Was soll ich jetzt mit ihr machen?" murmelte Kestwick. „Ich kann sie nicht mehr gehen lassen. Woher wussten Sie davon?" fuhr er Jessica an.
„Ich habe es nicht gewusst", erwiderte Jessica aufrichtig. „Ich war nur überzeugt, dass Sie mein Schmuckkästchen zerbrochen haben und dass Sie auch in das Haus des Generals und in das Kinderzimmer eingedrungen sind. Dass Sie Mrs. Woods getötet haben, weiß ich erst, seit Sie selbst es gesagt haben."
Kestwick fluchte halblaut und schlang seinen Arm noch fester um sie. „Es hat keinen Zweck mehr, darüber zu lamentieren. Aber irgendetwas muss ich mit Ihnen machen."
„Warum haben Sie es getan?" fragte Jessica. „Und warum jagen Sie diesem Kasten nach?"
Zweifelnd hob Kestwick die Brauen. „Sie wissen es nicht? Sie haben also noch nichts gefunden?"
„Was habe ich nicht gefunden? Wovon reden Sie eigentlich? Ich verstehe überhaupt nichts."
Kestwick lachte schrill, fast hysterisch. „Beim Himmel, ich kann es nicht glauben! Sie wissen also gar nichts?"
„Nein, absolut nichts."
„So hat mich der alte Narr angelogen - oder er hat es so gut versteckt, dass Sie es nicht finden konnten."
„Wer? Der General?" Jessica begegnete seinem Blick im Spiegel. Seine Augen waren so kalt und flach wie die Augen einer Schlange. Plötzlich war sie sich vollkommen sicher, dass dieser Mann auch General Streathern ermordet hatte. „Er ist nicht an einem zweiten Schlaganfall gestorben, nicht wahr? Sie waren in jener Nacht in seinem Haus - habe ich Recht? Und Sie haben ihn umgebracht. Warum?"
„Seien Sie still. Sie reden zu viel. Es muss wie ein Unfall aussehen. Nein - nein, ich habe eine bessere Idee." Kestwick verzog den Mund zu einem teuflischen Grinsen. „Sie schreiben einen Brief, in dem Sie gestehen, dass Sie Marie getötet haben."
„Sie kannten sie von früher, aber Sie erkannten sie nicht sofort, ja? Sie jedoch wusste etwas von Ihnen aus ihrer Zeit als Kokotte. Was hatte sie vorgehabt? Sollten Sie ihr Schweigen mit Geld erkaufen?"
Kestwick schniefte verächtlich. „Einfältiges Weibsstück! Als ob mich Drohungen von einer Person wie ihr gefügig machen könnten!"
„Was wusste sie
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