Sturm ueber Cleybourne Castle
Ton verriet, dass er nicht mehr über die unerklärlichen Vorkommnisse in seinem Hause sprach.
„Wirklich?" fragte Jessica und erhob sich langsam. „Willst du damit sagen, dass wir lieber nicht ... dass wir nicht..." Sie fühlte sich plötzlich schrecklich elend.
Erschrocken sprang Richard auf. „Nein! Nein, das habe ich nicht gemeint. Ich meinte ... ich wollte sagen ..." Er ging zu ihr und nahm ihre Hände. „Es ist nur ... wenn ich in deiner Nähe bin, habe ich mich nicht mehr in der Gewalt. Ich kenne mich selbst kaum noch." Eindringlich blickte er ihr in die Augen. „Ich sollte für die vergangene Nacht um Verzeihung bitten ... dafür, dass ich die Gelegenheit ausgenutzt habe ... "
„Du hast die Gelegenheit nicht ausgenutzt", erwiderte Jessica mit Entschiedenheit. „Ich wusste, was ich tat, und ich bereue nichts."
„Ist das deine ehrliche Meinung?" Richard führte ihre Hände an die Lippen, erst die eine Hand, dann die andere. „Dann bin ich sehr froh, dass du das sagst, denn ich kann nicht von mir behaupten, dass es mir Leid tut. Nein, nein, ich bedaure es nicht."
„Ich auch nicht." Mit großen leuchtenden Augen sah Jessica ihn an.
„Am liebsten möchte ich in deinen Augen ertrinken", murmelte Richard. Er neigte sich zu ihr herab, sie hob das Gesicht zu ihm auf und sie küssten sich, sacht und zärtlich.
„Ich komme nicht los von dir." Hungrig liebkosten seine Lippen ihre Augen, ihre Wangen. „Heute Nacht möchte ich wieder bei dir sein. Ich weiß, ich sollte lieber nicht... "
Jessica verschloss ihm den Mund mit einem zärtlichen Kuss. Als sie sich wieder voneinander lösten, sagte sie: „Ich möchte heute Nacht auch bei dir sein. Ich möchte dich in meinem Bett haben."
Richard holte tief Luft. „Jessica ..." Mit beiden Armen umschlang er sie und zog sie an seine Brust. „Wäre jetzt nicht schon der richtige Zeitpunkt dafür?" flüsterte er in ihr Haar.
Unwillkürlich musste Jessica lachen. „Da kannst du Recht haben."
In diesem Augenblick wurde diskret an die Tür geklopft, und die beiden fuhren auseinander.
„Herein!" rief Richard mit rauer Stimme.
Die Tür wurde geöffnet, und Baxter trat aufgeregt und mit strahlender Miene ein. „Wir haben einen neuen Gast, Euer Gnaden. Lord Westhampton ist soeben eingetroffen."
„Lord Westhamp..."
„Jawohl, Lord Westhampton." Ein hoch gewachsener blonder Mann erschien auf der Schwelle. Er war etwa Mitte dreißig und warm eingepackt in einen dicken Mäntel und einen Wollschal. Den schmalkrempigen Filzhut trug er in der Hand. Auf seinen gleichmäßigen, angenehmen Gesichtszügen lag ein Hauch von Müdigkeit, und der Saum seines Mantels sowie seine hohen Stiefel waren mit Schneekrusten bedeckt. „Ich bin es in der Tat, Richard."
„Michael! Mein Gott!" Mit einem freudigen Lachen ging Richard auf seinen Gast zu, schüttelte ihm die Hand und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Wo zum Teufel kommst du denn her?"
„Nun, woher schon. Natürlich von daheim", erwiderte Michael mit einem leichten Kopfschütteln.
„Von dem Seengebiet? Bei diesem Wetter? Wie bist du da überhaupt durchgekommen?"
„Manchmal erschien es wirklich wie ein Glücksspiel", räumte Lord Westhampton ein. „Aber da ich mich einmal auf den Weg gemacht hatte, wäre eine Umkehr genauso schwierig gewesen. Also bin ich tapfer vorwärts geritten."
„Aber warum denn? Ist irgendetwas geschehen? Vielleicht mit Devin?" erkundigte sich Richard besorgt.
„Nein, nein, es ist alles in Ordnung. Nur ich war ein bisschen ... na ja, aber nun weiß ich ja, dass Rachel bei dir in guter Obhut ist."
„Sie hält sich seit dem Wettereinbruch in Cleybourne Castle auf. Wusstest du nicht, dass sie auf der Rückreise hier Station machen wollte?"
„Ja schon, aber als sie nicht zu der vorgesehenen Zeit zurück war, fing ich an, mir Sorgen zu machen. Devin sagte mir, dass sie dich zu einem Besuch bei uns über die Festtage einladen wollte. Als dann der Schneesturm kam, fürchtete ich, sie sei vorher aufgebrochen und in das Unwetter geraten. Ich hatte keine Ruhe mehr und machte mich also auf, um nach ihr zu sehen."
Während seiner Erklärungen hatte Jessica Lord Westhampton aufmerksam betrachtet. Das war also der Mann, mit dem Rachel eine „erfreuliche Partie", aber ohne Liebe, gemacht hatte. Es erschien ihr ein wenig unglaubhaft, dass ein Mann, der eine höflich distanzierte Ehe führte, in Panik geriet, wenn seine Frau ein paar Tage später von einer Reise zurückkehrte, und
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