Sturm ueber Cleybourne Castle
schwarzen Haaren und grünen Augen. Eines muss man der Familie Aincourt lassen: Sie waren immer alle gut aussehend. Übrigens hängt ein Porträt der Verstorbenen in der großen Halle. Die beiden waren sehr glücklich. Und was waren das damals für herrliche Zeiten auf Cleybourrie Castle! Häufig waren Gäste hier, manchmal wochenlang. Bälle wurden gegeben und große Bankette und alle Arten von Unterhaltungen. Seine Gnaden war ein sehr geselliger Mensch."
„Der Duke?" fragte Jessica ungläubig.
Die Haushälterin nickte nachdrücklich. „Oh ja. Sie werden es sicherlich nicht glauben, wenn Sie ihn jetzt sehen. Aber er liebte Gesellschaft. Dabei war er weder verantwortungslos noch exzessiv, wenn Sie verstehen, was ich meine. Er hat immer seine Pflichten erfüllt und sich um alle Angelegenheiten gekümmert. Zugleich jedoch hatte er ebenso viel Spaß an Vergnügungen wie jeder andere Mensch. Und die Duchess erst! Sie gab den Festen ihren Glanz und war immer der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die beiden hatten eine kleine Tochter. Alana."
„Eine Tochter? Davon hat er gar nichts erwähnt. Er sagte nur, seine Frau sei gestorben und ... "
„Oh ja, sie hatten eine Tochter." Miss Brown lächelte gedankenverloren. „Ach, sie war ein richtiger kleiner Wildfang. Sehr lebhaft, immer und überall dabei, aber niemand konnte ihr deshalb böse sein, denn sie war ein richtiger Sonnenschein. Sie brauchte nur zu lächeln und zu sagen, dass es ihr Leid tut, und schon war alles vergeben und vergessen. Nach ihrer Geburt blieben die Eltern öfter hier im Schloss und gingen nur zu den Höhepunkten der Saison nach London. Wissen Sie, der Duke vertrat die Ansicht, dass es für ein Kind besser war, auf dem Land aufzuwachsen. Miss Alana hat nicht einmal in den Kinderzimmern geschlafen. Ihr Vater meinte, sie seien zu weit entfernt und man könne nicht hören, wenn sie weinte oder nach ihm rief. So bekam sie ein Zimmer gleich neben der Halle, und das Kindermädchen schlief im selben Raum."
„Und wodurch hat sich dann alles verändert?"
„Das war der Unfall mit der Kutsche. Dabei kamen die Duchess und die kleine Alana ums Leben."
„Oh, wie schrecklich!"
Die Haushälterin nickte, während ihre Augen sich mit Tränen füllten. „Seine Gnaden begleitete die Kutsche zu Pferde. Es war Winter, um die Weihnachtszeit, ja, genau zu der schönsten Zeit des Jahres." Sie seufzte tief. „Vielleicht sind sie auf der schneeglatten Straße zu schnell gefahren. Aber wie auch immer, jedenfalls überschlug sich der Wagen in einer Kurve. Er rollte einen Abhang hinab, und die Duchess wurde hinausgeschleudert. Sie war sofort tot, hatte wohl das Genick gebrochen. Aber die Kutsche mit der Kleinen darin rutschte weiter und versank in dem See."
„Oh nein!" Jessica presste beide Hände auf das Herz. „Wie entsetzlich!"
„Auf dem Wasser lag eine dünne Eisschicht", fuhr Miss Brown fort, „aber der Wagen brach dennoch ein. Seine Gnaden sprang sofort hinterher. Der Kutscher erzählte mir später, es sei ein schrecklicher Anblick gewesen, wie der völlig aufgelöste Vater immer wieder in das eisige Wasser tauchte, bis er schließlich das Kind gefunden hatte und an Land brachte. Doch es war zu spät. Das arme süße Mädchen atmete nicht mehr."
Tränen tiefsten Mitgefühls füllten Jessicas Augen, während sie sich diese herzergreifende Szene vorstellte: der verzweifelte Vater, die dunkle, kalte Nacht, der mit Eis bedeckte See. Sie sah die verunglückte Kutsche vor sich, die erschrockenen Pferde, die tote Frau auf dem gefrorenen Boden und den Duke, wie er sich immer wieder in das eisige Wasser stürzte und zuletzt mit dem starren Körper des ertrunkenen Kindes in seinen Armen auftauchte.
„Er trug das Mädchen den ganzen Weg nach Hause zurück." Seufzend wischte die Haushälterin sich über die Augen. „Nie werde ich sein Gesicht vergessen, als er mit dem entschlafenen Seelchen an seiner Brust über die Schwelle trat. Eine solch trostlose Leere habe ich niemals wieder gesehen. Es gelang uns nur mit Mühe, ihm die Kleine aus den Armen zu nehmen und ihn zu Bett zu bringen. In der Nacht begann er dann, fürchterlich zu fiebern - kein Wunder, wenn man bedenkt, dass er mehrmals in den See getaucht und dann in der durchnässten Kleidung durch die bitterkalte Nacht zum Schloss zurückgegangen war. Fast wäre der Duke an diesem Fieber auch noch gestorben. Sein Kammerdiener Noonan, Baxter und ich wichen nicht von seinem Krankenlager. Tagelang rechneten wir
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