Sturm ueber Cleybourne Castle
wie Gaby. Dennoch musste er bei ihrem Anblick immer wieder an sein totes Kind denken. Er versuchte, sich vorzustellen, wie Alana wohl in Gabrielas Alter ausgesehen hätte.
Aber es wurde im Laufe der Zeit immer schwieriger für ihn, ihr Bild in seinem Gedächtnis hervorzurufen. Sie war nun schon länger tot, als sie vorher gelebt hatte, und er selbst lebte schon länger ohne sie als zuvor mit ihr. Dennoch hatte ihr Verlust ihm den schwersten Schlag versetzt, den er je erlitten hatte - und wahrscheinlich noch erleiden würde.
Auch in ihrer Erscheinung glich Gabriela seiner Tochter überhaupt nicht. Alana hatte kohlschwarzes Haar und haselnussbraune Augen. Ihr lustiges kleines Gesicht mit den rosigen Pausbäckchen war dem von Gabriela ganz und gar nicht ähnlich. Die junge Miss Carstairs blickte mit ernsten grauen Augen in einem herzförmigen Antlitz, das von lichtbraunen Haaren umrahmt wurde, zu ihm auf. Sie wirkte irgendwie gesetzt. „Aber ich habe ihr erwidert, dass ich das nicht einsehen kann", fuhr Gabriela unvermutet fort, und in ihrer Stimme schwang die Hoffnung mit, der Duke werde ihre Sehnsucht nach einem Zuhause verstehen. „Ich glaube vielmehr, es würde viel leichter sein, in ein paar Jahren eine passende Dame zu finden, die mich in die Gesellschaft einführt, als jetzt irgend jemanden zu überreden, die Vormundschaft über mich bis zu meiner Volljährigkeit zu übernehmen."
„Aber es wäre doch besser für dich, immer bei denselben Menschen bleiben zu können", versuchte der Duke das Mädchen zu überzeugen, wurde jedoch durch dessen zweifelnden Blick von weiteren Überredungsbestrebungen abgehalten.
„Das ist also der Grund, warum Sie mich nicht sehen oder sprechen wollten?"
Trotz ihrer Bemühung war die Verletztheit in Gabrielas Ton nicht zu überhören, und Cleybournes Gewissen meldete sich daraufhin erneut.
„Es tut mir wirklich Leid", beteuerte er aufs Neue. „Ich bin wohl sehr selbstsüchtig gewesen. Ich ... ich habe heute ständig darüber nachgedacht, wie es auf dich gewirkt haben muss. Glaube mir, es hat mit dir überhaupt nichts zu tun, dass ich nicht mit dir reden wollte."
„Miss Jessica hat mir gesagt, dass Sie eine Tochter hatten, die vor ein paar Jahren gestorben ist, und sie meinte, das sei der Grund. Stimmt es? Liegt es daran, dass ich ihr nicht ähnlich bin?"
„Nein, nein, wie ich schon sagte - es hat mit dir gar nichts zu tun. Ich hatte einfach Angst, dich hier im Hause umherlaufen zu sehen und in meiner Nähe zu haben. Verstehst du das?"
„Sie fürchteten, Sie würden dann unglücklich sein?"
Cleybourne nickte. „Das habe ich in der Tat gefürchtet -dass der Anblick eines Kindes, selbst in einem anderen Alter, mich ständig schmerzlich an Alana erinnern würde."
„Das tut mir sehr Leid. Ich wollte nicht, dass Sie unglücklich sind."
„Das glaube ich dir." Ein Lächeln huschte über seine Lippen. „Um die Wahrheit zu sagen: Du erinnerst mich gar nicht so sehr an Alana. Bei deinem Anblick muss ich an deinen Vater denken."
„Wirklich?"
„Ja. Er hatte dieselben Augen wie du, und er pflegte mich genauso anzusehen, wenn ich wieder einmal mit einer abwegigen Idee zu ihm kam, denn er war im Allgemeinen viel vernünftiger als ich. Aber dann lächelte er, und dabei glitzerten seine Augen, und seine Mundwinkel hoben sich ein wenig - ja, genau wie bei dir jetzt."
Gabriela lachte strahlend. „Ist das wahr? Bin ich ihm wirklich ähnlich?"
„Insoweit ja, und auch, was die Augen betrifft. Andererseits kommst du äußerlich nach deiner Mutter, die eine sehr attraktive Frau war, wie ich bemerken möchte." „Ja, das war sie", bestätigte Gabriela stolz. „Aber ich hatte nicht geglaubt, dass ich ihr ähnlich sehe. Der General hat es zwar behauptet, aber ich konnte es nicht feststellen und glaubte, er habe es nur aus Höflichkeit gesagt."
„Darüber brauchst du dir bei mir keine Gedanken zu machen", sagte Cleybourne lächelnd, „denn wir beide wissen doch ganz genau, dass ich nicht zu übertriebener Höflichkeit neige."
Wieder musste Gabriela lachen. „Sie sind ja richtig nett. Ich mag Sie."
„Dann bist du ja der nachsichtigste Mensch, den ich kenne, denn ich fürchte, ich habe mich dir gegenüber ziemlich abscheulich benommen."
„Oh, Sie waren doch nur traurig wegen Ihrer Tochter. Das verstehe ich, denn ich bin auch traurig über den Tod meines Großonkels. Manchmal denke ich immer noch beim Aufwachen, dass ich ihm gleich dies oder jenes sagen muss. Aber dann
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