Sturm ueber Cleybourne Castle
auf die abgewandte Gestalt des Duke, und in ihren Augen lag so viel Traurigkeit, dass Jessica das Herz wehtat.
„Es tut mir so Leid", begann sie zögernd, während sie dem Mädchen über den Arm strich.
„Warum mag er mich nur nicht?" fragte Gaby bedrückt.
„Das ist nicht der Fall. Glaube es mir bitte", erwiderte Jessica und drückte sie wie eine Freundin an sich.
„Doch, es muss so sein. Er hat mich nicht begrüßt. Er hat nie mit mir gesprochen. Ich habe ihn heute zum ersten Mal richtig gesehen und nicht nur aus der Ferne."
„Das war in der Tat sehr unfreundlich von ihm. Aber er ist ein ungeselliger Mensch und an das Alleinsein gewöhnt. Soweit ich weiß, hat er die letzten vier Jahre fast wie ein Einsiedler gelebt, ist nie ausgegangen und hat nur sehr selten Besuche empfangen."
„Ich erwarte ja nicht, dass er sich lange mit mir unterhält", erwiderte Gabriela mit einem unkindlichen Ernst. „Es ist nur ... er war doch Papas Freund! Ich ... ich dachte, er würde mich deswegen gern bei sich haben. Und es würde ihm Freude machen, mich aufwachsen zu sehen. Ich habe mir vorgestellt, es könnte so sein wie ... als hätte ich wieder einen Vater. Ich meine ... ich weiß ja ein bisschen, wie es ist, eine Mutter zu haben, denn Sie waren ja immer wie eine Mutter zu mir. Und deshalb dachte ich, er könnte wie ein Vater sein - zumindest irgendwie wie ein Vater." Gerührt umarmte Jessica das Mädchen. „Du bist wirklich wie eine Tochter für mich. Aber der Duke ist vielleicht einfach nicht in der Lage, dir väterliche Gefühle entgegenzubringen. Die Haushälterin erzählte mir, dass er in seinem Leben viel Kummer und Sorge gehabt hat. Seine Frau und seine kleine Tochter sind vor vier Jahren gestorben. Offensichtlich hat er sich von diesem Schicksalsschlag bis heute nicht erholt. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum er nicht mit dir sprechen möchte. Es ist wahrscheinlich zu schmerzlich für ihn, weil er dadurch an sein totes Kind erinnert wird."
„Oh." Auf Gabrielas Gesicht zeigte sich trotz ihrer Bekümmertheit eine Spur von Erleichterung. „Dann will er anscheinend überhaupt kein Kind um sich haben und lehnt nicht nur mich ab."
„Es geht wohl nicht so sehr darum, was er will, sondern was er fürchtet. Aber du magst Recht haben. Es wäre sicher bei jedem anderen Kind dasselbe - Mädchen oder Junge. Und ich denke auch, dass er es doch gut mit dir meint, so hartherzig er manchmal auch erscheint. Ich bin sicher, dass er das Beste für dich im Sinn hat. Er weiß doch, dass er niemals ausgeht und auch keine Gäste empfängt. Es wäre ein sehr einsames und abgeschiedenes Leben für dich und würde dich in keiner Weise auf die Zukunft vorbereiten. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es für dich in der Tat besser, bei einem Ehepaar zu leben und damit Vater und Mutter zu haben. Zweifellos wollte dein Vater nicht, dass du bei einem Witwer aufwächst, denn als er das Testament aufsetzte, war der Duke ja verheiratet."
„Ja, das ist wohl richtig."
„Und es ist auch unbestreitbar, dass du in ein paar Jahren, wenn du achtzehn geworden bist, den Beistand einer Dame benötigst, die sich in den höchsten Kreisen der Gesellschaft bewegt. Dazu ist weder ein Mann noch eine Gouvernante in der Lage. Ich kann dir natürlich einiges erzählen, aber du brauchst eine erfahrene weibliche Begleitung bei allen gesellschaftlichen Ereignissen, die dir hilfreich zur Seite steht."
„Aber ich interessiere mich doch gar nicht für diese dummen, langweiligen Abendgesellschaften."
„Heute vielleicht noch nicht. Aber glaube mir, in ein paar Jahren werden sie geradezu lebenswichtig für dich sein. Ich weiß, das ist im Moment schwer zu verstehen. Du möchtest ein Zuhause und eine Familie haben. Aber es ist dennoch besser, noch ein wenig zu warten und dann ein passendes Heim zu bekommen, als nach deinem achtzehnten Geburtstag wieder zu anderen Leuten gehen zu müssen, die für dein angemessenes Debüt auf dem gesellschaftlichen Parkett sorgen können. Der Duke erwähnte in diesem Zusammenhang seine Schwägerin, und die Haushälterin sagte mir, dass sie ein sehr angenehmer Mensch sei. So scheint es mir wirklich eine sinnvolle Lösung zu sein."
„Kann sein", erwiderte Gaby mürrisch.
„Jetzt sollten wir aber zu unseren Büchern zurückkehren, denn für heute haben wir genug Aufregungen gehabt."
Seufzend nickte das Mädchen und folgte Jessica gehorsam in das obere Stockwerk.
Es überraschte Jessica absolut nicht, dass es Lady Vesey
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