Sturm ueber Cleybourne Castle
ging mit großen Schritten zu seinem Arbeitszimmer. Jessica folgte ihm und schloss sorgfältig die Tür hinter sich.
„Vielleicht sollten wir uns setzen ...", schlug sie vor.
„Nein, ich will mich nicht hinsetzen. Hol's der Teufel, Miss Maitland, was ist nur los mit Ihnen?"
„Mit mir ist überhaupt nichts, Euer Gnaden. Ich fühle mich sehr wohl. Aber Ihnen scheint irgendetwas ungelegen zusein."
„Jawohl, das scheint nicht nur so! Haben Sie denn nicht einen Funken Verstand?
Und kein Taktgefühl?"
„Oh, über einen Mangel an Verstand kann ich nicht klagen. Und was das Taktgefühl anbelangt... "
„Ach, hören Sie doch auf! Sie kommen hierher, geben Anordnungen ohne jede Berechtigung dafür, ändern eigenmächtig Gewohnheiten..."
„Ich bedaure, wenn ich meine Kompetenzen überschritten habe."
„Das bedauern Sie keineswegs, denn für das Überschreiten von Kompetenzen haben Sie offensichtlich eine Vorliebe. Sie machen das tagtäglich, immer und überall. Sie sagen meinen Dienern, was sie zu tun haben. Sie sagen mir, was ich zu tun habe. Dabei haben wir uns alle durchaus wohl gefühlt, bevor Sie kamen."
„Nun, ich möchte doch bitten, bei den Tatsachen zu bleiben. Als ich hierher kam, war dieses Haus ein düsterer und trostloser Ort. Die Dienerschaft war besorgt und traurig, und der Hausherr trug sich mit dem Gedanken, seinem Leben ein Ende zu setzen."
„Ich habe überhaupt nicht ...", fuhr Richard auf, beherrschte sich dann aber und biss verzweifelt die Zähne aufeinander. Warum war Jessica nur so schrecklich schwierig? So dickköpfig? Und so unbeschreiblich begehrenswert!
Ein paar Atemzüge lang rang er um Fassung und fuhr dann in gemäßigterer Tonart fort: „Was ich vorhabe oder auch nicht vorhabe, ist wahrhaftig nicht Ihre Angelegenheit, Miss Maitland, genauso wenig wie der Zustand meines Hauses und die Gefühle meiner Diener, die - nebenbei bemerkt - gut behandelt werden und mir treu ergeben sind."
Jessica nickte. „Das ist richtig. Und es ist genau der Grund, weshalb sie Ihretwegen so besorgt und traurig sind. Sie wissen, wie niedergeschlagen Sie gewesen sind und wie nahe am ... "
„Welcher Unsinn!"
Furchtlos blickte Jessica ihn an. „Was glauben Sie denn, warum ich so überzeugt war, dass Sie sich neulich Abend erschießen wollten? Weil es Ihre treuesten Diener befürchteten."
Cleybourne runzelte die Stirn. „Das konnten sie nicht wissen."
„Oh doch, sie wussten es. Diener ahnen alles, was ihre Herrschaft betrifft. Das Haus ist ihre Welt, und Sie sind der Mittelpunkt dieser Welt. Natürlich kennen sie Ihre Gefühle und Ihre Stimmungen, und sie sind Ihnen herzlich zugetan."
„Aber offensichtlich nicht genug, um sich an meine Befehle zu halten", versetzte er ärgerlich. „Sie wussten, dass ich diese scheußliche Dekoration nicht in meinem Hause haben wollte." Unwillig fuhr er mit der Hand durch die Luft, als wolle er alle Tannengirlanden hinwegfegen.
„Ich finde sie eher fröhlich als scheußlich", erwiderte Jessica. „Aber Tatsache ist, dass keiner Ihrer Leute Ihre Anordnung missachtet hat. Als ich sie danach fragte, stellte es sich heraus, dass Sie vor zwei Jahren zum letzten Mal dieses Verbot ausgesprochen haben. Deshalb kam ich zu der Schlussfolgerung, dass Sie wahrscheinlich keinen Wert mehr darauf legen, denn sonst hätten Sie ja ..."
„Miss Maitland, ich wäre Ihnen außerordentlich verbunden, wenn Sie meine Dienerschaft nicht mehr darüber aufzuklären versuchten, wie meine Befehle zu interpretieren sind."
„Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass es unvernünftig wäre, seinen Leuten zuzumuten, nie wieder Weihnachten zu feiern."
„Sie sollten wissen, dass Sie äußerst gefährlichen Boden betreten, Miss Maitland." „Gefährlich? Nun, Euer Gnaden, im Gegensatz zu Ihren Dienern habe ich keine Angst vor Ihnen und Ihren Launen. Deshalb werde ich auch nicht so tun, als sei Ihr Verhalten in Bezug auf das Weihnachtsfest vernünftig, wenn es das offenkundig nicht ist."
„Meine Diener haben keine Angst vor mir."
„Nein, aber sie haben Angst, Sie zu verletzen ... Sie zum Äußersten zu treiben. Sie wollen nicht... "
„Genug davon! Ich weiß, was Sie sagen wollen. Aber ich bin hier der Herr im Hause, und ich habe das Recht zu entscheiden, was getan oder unterlassen wird."
„Aber Sie haben nicht das Recht, jedem die Weihnachtsvorfreude zu nehmen. Denken Sie nur an Ihre Gäste, die vielleicht dazu verurteilt sind, das Fest fern von ihren Lieben zu
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