Sturm ueber den Highlands
sie selbst. Verärgert, enttäuscht und besorgt, Lucais könnte zurückkehren, ehe ihr die Flucht gelang, riss sie die Kerbhölzer und die Bücher aus der Truhe und trampelte auf ihnen herum.
„Das ist für dich, du Wicht!“ schrie sie und stellte sich vor, dass unter ihren Absätzen sein Genick krachte, nicht die Hölzer, die mit ihren Markierungen die Abgaben der Sutherland-Pächter an ihren Herren zeigten. Danach fühlte sie sich so erleichtert, dass sie auch noch die Pergamentblätter mit den Aufzeichnungen, welches Stammesmitglied welchen Teil des Landes bearbeitete, zerriss.
„So“, sagte sie, als kein Blatt mehr übrig war, das sie zerreißen konnte. „Betrüge mich um mein Land, und ich sorge dafür, dass du eine höllische Zeit hast, bist du weißt, welches Land dir überhaupt gehört.“ Doch als sie um sich blickte und die zerschmetterten Hölzer unter einer Lawine von Pergamentfetzen begraben sah, wich sie zurück. Flucht war kein Ziel mehr; es war eine Notwendigkeit. Lucais würde sie umbringen, wenn er entdeckte, was sie getan hatte.
Mit zitternden Fingern verbarg Elspeth die Unordnung in der Truhe, dann machte sie sich daran, das Türschloss zu bearbeiten. Der Mechanismus war durch das feuchte Klima schon rostig, und Angst war eine starke Antriebskraft. Bald gab das Schloss nach. Sie hielt den Atem an, öffnete vorsichtig die Tür und spähte in das Schlafgemach von Lucais. Leer.
So weit, so gut. Elspeth drückte eine Hand auf das pochende Herz und schlich in den Raum. Die schweren Vorhänge, die das Bett umgaben, waren zurückgezogen, das zerwühlte Leinen war glatt gestrichen, doch sie erinnerte sich nur zu genau daran, was vor wenigen Stunden geschehen war. Der Zorn in seinen Augen, Spott auf seinen Lippen, sein Körper, der sich an den ihren presste ... Ihre Hände wurden kalt, doch ihr Blut kochte. Wut. Es musste Wut sein, die ihren Puls rasen ließ und ihren Magen aufwühlte, nicht die Erinnerung, in den Armen eines Mannes gelegen zu haben, die in ihr Gefühle erweckte ... was? Nicht Angst oder Abscheu. Diese Gefühle hätte sie begrüßt, denn sie waren alte Freunde während ihrer Ehe gewesen. Was war es also, das Lucais sie empfinden ließ?
Verwirrung. Zorn. Verletzbarkeit, wie Raebert es nie vermocht hatte.
Bah! Elspeth schüttelte die Hirngespinste von sich und wandte sich wichtigeren Dingen zu als Tagträumen - sie musste einen Weg finden, zu einem Pferd zu kommen, um aus Kinduin zu entfliehen, ehe ihr Racheengel zurückkam. Gerade als sie nach der Klinke der Tür, die in den Korridor hinausführte, greifen wollte, hörte sie hinter sich etwas zu Boden fallen.
Herumwirbelnd presste Elspeth sich gegen das Portal aus Ei-che, der Mund trocken vor Furcht. Sie erwartete, dass Lucais sich auf sie stürzte. Doch der Raum war leer wie zuvor, als ihr Blick vom Bett zu den Fenstern, zum Kamin und in jeden schattigen Winkel, wo das blasse Sonnenlicht nicht hinfiel, suchend umherschweifte. Nichts rührte sich.
Doch halt. Da ... auf der anderen Seite des Tisches, der vor dem Kamin stand ... kauerte etwas neben dem hochlehnigen Stuhl am Boden.
Unwillkürlich bewegte sie sich vorwärts, angezogen von dem Bedürfnis zu helfen, das stärker war als ihr Misstrauen Männern gegenüber, stärker als die Angst vor jenem Mann. „Lucais?“ flüsterte sie, als sie näher trat. Doch der Mensch, der zu ihren Füßen lag, war nicht Lucais. Es war ein Kind.
„Oh. Bist du verletzt?“ Elspeth sank auf die Knie und griff zögernd nach den dünnen, nackten Armen, die aus den verfilzten Kleidern heraushingen. Kalt. So kalt, dass sie fürchtete, das kleine Wurm wäre tot, doch der Arm schreckte zurück, und ein tiefes Schluchzen entwich dem armseligen Wesen. „Hab keine Angst“, sagte sie leise. „Ich möchte nur helfen.“
„Darf nicht hier sein“, lispelte ein zartes Stimmchen.
„Ich auch nicht“, lachte Elspeth. Selbst auf Carmichael Castle trieb es die Kinder der Dienerschaft in verbotene Gefilde wie das Zimmer des Laird. Bloß um zu sehen, welche Wunder es da gab.
Ein kleines, düster dreinblickendes, blasses Gesicht kam zum Vorschein, umgeben von einem zerzausten Wust von Haaren, so schwarz wie die von Elspeth. Unter langen, feuchten Wimpern blickten goldbraune Augen sie an. „Bist du mit dem Laird verheiratet?“ fragte das Kind.
„Nein, und ich danke Gott dafür.“
„Du bist in seinem Zimmer.“
„Das bist du auch. Bist du seine Frau?“ scherzte Elspeth.
Das Kind wandte das
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