Sturm über Freistatt
worden und mußte sterben, während er gleichzeitig Hanses Tod verursachte. Doch Vashanka hatte recht: Er konnte nicht getötet werden, deshalb wurde er für immer von dieser Ebene geschleudert, auf der die Diebeswelt, Freistatt und Ranke, Vashankas erwählte Stadt und seine erwählten Anhänger existierten. Und er konnte nie wieder zurückkehren, da er hier getötet worden war.
Weil Vashanka Hanse getötet hatte, aber nicht auf dieser Ebene existierte, und so Hanse nicht getötet haben konnte, kam es zum Paradoxon, und Paradoxa, hatte Ils, der Gott der Ilsiger gesagt, konnte es nicht geben. Deshalb war Hanse, genannt Nachtschatten, am Leben und unversehrt. Und Ils blickte auf ihn hinab und sagte:
Du, geliebter Sohn des Schattens, hast einen Gott besiegt und so mich meinem Volk in Freistatt zurückgegeben. Und da Vashanka zum mächtigsten Gott der Rankaner geworden war, wird die Macht dieses Volkes schwinden. Reiche sterben langsam, doch sein Untergang hat in diesem Augenblick begonnen.«
Und dann: »Zehn Umdrehungen der Sonne lang sollst du haben, was du dir wünschst. Alles, was du dir ersehnst … Solange werden wir nicht für dich erreichbar sein. Danach aber sehen wir uns wieder, geliebter Hanse, und du darfst mir noch einen, deinen größten Wunsch nennen.«
Als Hanse Nachtschatten, Sohn des Schattengottes Shalpa (und Bezwinger eines Gottes), sich in jener Nacht erschöpft von dem schweren Kampf nach Hause schleppte, wünschte er sich, er wäre nicht müde – und da war er es nicht mehr. Grinsend wünschte er sich noch etwas, und als er seine Kammer betrat, war sie tatsächlich da: Die Gewünschte erwartete ihn mit schmachtenden Augen unter langen Wimpern in seinem Bett.
Danach war die Nacht wundervoll, diese Nacht von Hanses großem Triumph und Vashankas Tod/Verbannung für immer. Und am Morgen sah man die Schiffe. Die Beysiber waren unterwegs nach Freistatt.
Hanse schlenderte an jenem Tag zum Hafen und sah, daß die Schiffe immer näher kamen, und er überlegte und grübelte. Dann stieg er hinauf zum Adlerhorst, von manchen auch Adlerschnabel genannt, wo er Gast von Göttern gewesen war und mit einem Gott gekämpft hatte. Die Götter waren jetzt nicht da, nur die Ruinen. Und der Brunnen. Hanse seufzte. In diesem Brunnen lagen zwei Satteltaschen voll Silbermünzen – mit einigen Goldstücken ebenfalls –, seit vielen, vielen Monaten schon, und dieses Geld gehörte ihm. Ohne war es ihm, seltsamerweise, weder besser noch schlechter ergangen. Hanse, der Dieb, dachte lediglich an seinen nächsten Einbruch, an sein nächstes Mädchen, und er malte sich aus, wie es mit jenen wäre, die er nicht haben konnte …
Aber er konnte sie doch haben, oder nicht? Ils hatte ihm Esaria, die bildschöne junge Tochter des ehrenwerten Shafralain ins Bett geschickt. Es war eine wundervolle Nacht gewesen und hatte keine unangenehmen Folgen gehabt. Ein Schauer durchrann ihn, als er sich erinnerte, daß auch die Liebesgöttin Eshi sein Bett mit ihm geteilt hatte – dachte er. Und irgendwie hatte sie etwas mit Mignureal zu tun, der Tochter von Mondblume, die ihn gebeten hatte, ihrer Kleinen fernzubleiben oder vielmehr, sie als nicht mehr denn eine Schwester anzusehen. Er war dazu durchaus bereit gewesen, aber seither … Oh, seither war all das geschehen.
Grübelnd kehrte er nach Freistatt zurück und ließ seiner Phantasie freien Lauf. Unterwegs hatte er Gelegenheit, etwas auf die Probe zu stellen. Ein Riese von Mann wollte sich mit ihm anlegen. Hanse machte sich zur Abwehr bereit und wünschte sich, der Bursche würde ihn in Ruhe lassen und sich lieber schlafen legen oder sonst was. Da sah er, wie der Mann herzhaft gähnte und zusammensackte. Staunend untersuchte Hanse ihn. Er war nicht etwa tot zusammengebrochen, sondern atmete tief und gleichmäßig und schlief sichtlich den Schlaf, nun, nicht unbedingt des Gerechten.
»Aber – ich habe zehn Tage (oder Monate? Doch nicht etwa Jahre?), in denen meine Wünsche erfüllt werden! Alles, was ich mir wünsche!«
In seiner Aufregung redete er laut und machte übermütig ein paar Tanzschritte. Glücklich betrat er Freistatt, und eine wundervolle Vision nach der andern zog vor seinem innern Auge vorbei. Er eilte zu seiner geliebten Seherin Mondblume und überraschte sie mit einer stürmischen Umarmung, während er sich wünschte, sie möge doppelt so viele Münzen wie sie glaubte unter dem Schultertuch haben, in dem Spalt zwischen den üppigen Brüsten, den sie ihre
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