Sturm über Freistatt
stark ist.«
»Stimmt«, bestätigte Ils, »und das hätte ich nie gedacht. Du sollst deinen Wunsch haben.«
Hanse erwachte in den Ruinen von Adlerhorst, und er fragte sich, wie in aller Welt er hierhergekommen war. Doch er hatte wundervoll geträumt, von Mignureal und sich. Und die Erinnerung an diesen Traum erfüllte ihn mit Wärme und Glück, während er sich auf diesem narbigen, mit Rissen durchzogenen Steinboden auf die Füße plagte und um eingestürzte Säulen und herumliegende Trümmer ging, um dieses ehemalige Herrenhaus zu verlassen. Ohne sich ihm zu nähern, warf er nur einen flüchtigen Blick auf den alten Brunnen, dann zuckte er die Schultern. Es würde viel Arbeit und viele Hilfsmittel kosten, die Satteltaschen zu bergen. Er seufzte und stieg den Berg hinunter nach Freistatt.
Am nächsten Tag sagte Mondblume sehr ernst zu ihm, daß es vielleicht falsch von ihr gewesen sei, ihm zu verbieten, Mignureal zu sehen; vielleicht hatten Götter ihre Hand im Spiel. An diesem Tag fanden nur drei Personen auf die eine oder andere Weise den Tod durch die Fischäugigen von Übersee, doch viele Leben wurden durch sie und ihre Handlungen zerstört. An diesem Abend, während drei ihrer Geschwister sie hinter diesem oder jenem Versteck beobachteten und kicherten, stellten Hanse und die sehr junge S’danzo Mignureal fest, daß sie in der vergangenen Nacht den gleichen Traum geträumt hatten, und sie glaubten, daß Götter die Hand im Spiel hatten.
Viel später machte sich eine mit Schmuck überladene Beysiberin ein Vergnügen damit, einen Ilsiger zu bestrafen, der gegen das Gesetz verstoßen hatte – unwichtig, wie unbedeutend dieses Vergehen war. Sie nahm einen Beutel von ihrem Gürtel und reichte ihn dem jugendlichen Gesetzesübertreter. Als er ihn öffnete, schnellte der Kopf einer Beynit heraus und biß ihn. Das Schlangengift wirkte sofort. Der Freistätter war in weniger als einer Minute tot, und die Beysiberin wurde nicht bestraft. Die VFBF verbrannte eine Wagenladung Heu auf der Hauptstraße. Das war der Tag, als Hanse die Nachricht erhielt, Zip in Fuchs’ Kneipe zu treffen. (Das Gerücht wollte es, daß Throde, der Humpler, in dieser Nacht überfallen worden sei, doch es ging ihm gut am nächsten Tag, er hinkte unversehrt in der Schankstube herum, und so nahm niemand dieses Gerücht ernst.)
Sie war seit hundert Jahren (vielleicht waren es aber auch erst zwölf) Teil des Labyrinths, ohne den man es sich gar nicht vorstellen konnte. Sie saß vor dem Zuhause der Familie – das gleichzeitig das Geschäft ihres Mannes war, in dem er … nun, so allerlei verkaufte – und erzog ihre Kinderschar wirklich gut, ohne daß ihr Mann, den sie glücklich machte, dabei zu kurz gekommen wäre. Und sie sah. Sie verlangte nicht sehr viel für ihr Sehen, diese S’danzo namens Mondblume. Sie sah Freuden und Gefahren vorauf, Glück und Leid, und sie sah Verknüpfungen.
Sie hatte einmal genug gesehen, um Hanse zu sagen, daß er ahnungslos in ein großes Komplott verwickelt war. Die hochverräterische Konkubine des Statthalters hatte Hanse becirct und ihm mit einem ebenso hochverräterischen Höllenhund geholfen, eines Nachts in den Palast einzudringen, um das Savankh zu stehlen. (9) Mondblume hatte Hanse gewarnt, und er hatte sich herauswinden können, während die beiden Hochverräter ihrer gerechten Strafe nicht entgingen. Mondblume hatte noch anderes für Hanse gesehen, den sie fast wider Willen mochte und in dem sie einen guten Jungen sah, obwohl sie wußte, daß er das nicht war. Und sie hatte so manches für andere gesehen: für Ilsiger und Twander, Mresevadaner und Rankaner, Syreser und Aurveshaner – und jetzt für Beysiber.
O ja, selbst die jüngsten Eroberer kamen zu der sehr wohlbeleibten Hellseherin, die Hanse ›Passionsblume‹ nannte (denn es gelang ihm diese Frau mit seinem Charme zu erfreuen und das Verspielte in ihr zu wecken). Sie saß vor dem Geschäft auf einem Hocker, von dem sie ringsum überquoll, und trug Schicht um Schicht weiter Röcke in den verschiedensten Farben und Mustern. Sie machte am Anentag eine Sitzung für die Beysiberin Esanssu, und am Ilstag und am folgenden Anentag aufs neue. Die Fischäugige hatte sich über die Kürze der ersten Sitzung beschwert, und dann, als sie das zweitemal kam, über dessen Ungenauigkeit, obwohl es ihr geholfen hatte, beide Gegenstände wiederzufinden, die sie gesucht hatte. In ihrer Gutmütigkeit gab Mondblume ihr eine neuerliche Sitzung zum halben
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