Sturm über Freistatt
– ich komme mir wie ein Schuft vor!
Sie hatte bereits seinen Gürtel geöffnet und mit beiden Messerscheiden auf das alte Faß gelegt, das er als Nachttisch benutzte. Jetzt blickte sie ihn über die Schulter erwartungsvoll an. Hanse schluckte schwer und noch einmal. Er kam sich unvorstellbar gemein vor.
Sie drehte sich ganz zu ihm um, die Hände hinter dem Rücken, den Kopf leicht gesenkt, mit straffem Busen, und wiegte sich von einer zur andern Seite, doch viel eher wie ein kleines Mädchen denn eine Verführerin.
»Begehrst du mich, Hanse?«
»Ils und Eshi – welcher Mann würde dich nicht begehren, Mignue? Ich …« Doch unter den Umständen, in seiner seelischen Verfassung, war es das Verkehrteste, was er hätte sagen können! Ihr Gesicht leuchtete vor Glück auf. Sie lief die zwei Schritte auf ihn zu und schlang stürmisch die Arme um seinen Hals. Hanse erstarrte und berührte sie nur ganz leicht mit einer Hand. Er kaute an der Unterlippe und wünschte sich, er wäre … Nein! Wenn ich mir je wünschen sollte, ich wäre tot, dann möge das nicht als Wunsch gewertet werden!
»Oh!« hauchte Mignue, als sie feststellte, daß sie sich an einen spürbar erregten Mann schmiegte. Da schlossen ihre Arme sich noch fester um seinen Hals, und sie preßte sich erst recht an ihn.
Er streichelte ihr dichtes und wundervoll weiches Haar. Ihm kam der rettende Gedanke, und er sprach ihn laut aus.
»Ah, Mignue, Mignue … Ich wünsche mir, daß du dich in meinen schönen neuen Umhang hüllst und nur eine Weile mit mir redest.«
»Das klingt vielleicht sehr dumm«, flüsterte sie, an seine Brust geschmiegt, »aber weißt du, was ich gern tun würde?«
Ja, das wußte er.
Sie schaute unwahrscheinlich und – für seinen Seelenfrieden – bedrohlich liebreizend aus in diesem weinroten Umhang. Ja, natürlich erinnerte sie sich daran, daß sie ihn gebeten hatte, das braune Gefäß mit den Kreuzen mitzunehmen – und hatte er es nicht getan? – Ja. Und hatte es sich als nützlich erwiesen? Ja. Da erzählte er ihr von jener Nacht, und sie staunte, daß er das alles gemacht, daß er den mächtigen und offenbar unsterblichen Tempus gerettet hatte. Doch daß sie sein Leben gerettet hatte, verwunderte sie nicht. »Es ist das S’danzo, Hanse. Du mußt wissen, daß eine S’danzo einem Kunden nie sagt, daß sie seinen Tod vorhersieht. Auch versucht eine S’danzo sich nie in den Willen einer Welt und den Willen der Götter einzumischen, höchstens insoweit, als sie dem Betreffenden zur Vorsicht rät.« Sie saß mit den Armen um die angezogenen Beine, und sie blickte den jungen Mann nicht an, der so auf dem Fenstersims saß, daß die Zehen den Fußboden berührten. Er hatte die Vorhänge zugezogen, trotzdem war es nicht völlig dunkel in der Kammer.
»Andererseits – bei jenen, die wir lieben, können wir S’danzo nicht so gut sehen, weil wir zu sehr davon berührt sind, weißt du, Liebling? Aber etwas anderes macht das wett: Wir können manchmal die Gefahr sehen, häufig ohne daß es uns bewußt wird, und dann sehen, was die geliebte Person tun sollte, um ihr zu entgehen oder, uh, um sie zu bezwingen.«
Hanse blinzelte. Sie sagt mir, daß sie mich liebt … schon seit mindestens einem Jahr! Oh! Oh! G … Ils, Ils, Gott meines Va … uh – meiner Mutter, Gott der Götter … Ich wünschte, ich wüßte, ob das stimmt oder nicht!
»Da – jetzt habe ich es gesagt. Jetzt weißt du es, Hanse, o Hanse! Ich liebe dich, liebe dich schon seit Jahren – schon seit ich dich zum erstenmal sah, ganz bestimmt, obwohl ich da noch ein kleines Mädchen war.«
Hanse schluckte. Er fühlte sich wie schmelzendes Wachs, und etwas wie ein Schleier hatte sich vor seine Augen geschoben. Mich! Nachtschatten! Wer hat mich denn schon je geliebt?! Das ist alles, was ich je wollte – aber ich durfte es nicht zeigen, nicht wahr? Damit ich, wenn es dazu kam, wenn, wissen würde, daß es echt ist … Aber das hätte ich nie erfahren, weil ich nie daran glaubte und mich dagegen verschloß, um nur ja nicht verwundet zu werden …
Er versuchte unauffällig, diese verdammt unmännliche Träne von seiner Wange zu wischen. Doch kaum hatte er es geschafft, rollte eine aus dem anderen Auge. Ich hoffe, sie sieht es nicht, dachte er, ohne Gedanken an die Macht des Wunsches.
Er stellte ihr eine Frage nach der andern über die ganze Ils/Eshi/Vashanka-Sache. Sie erinnerte sich an nichts davon. Sie hatte allerdings einen furchtbaren Traum gehabt, daß er ihr für
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