Sturm über Freistatt
Tausend Augen war – er, nach dem die Ilsiger sich genannt hatten –, und auf die absolut schönste und wohlgeformteste Frau, die ein Mann je erschaut hatte. Denn das war die Gestalt, die Eshi für diese Nacht gewählt hatte, und Hanse wurde bewußt: Die Göttin zeigte ihm, wie unbeschreiblich schön sie sein konnte, daß eine Sterbliche wie Mignureal nicht mit ihr zu vergleichen war. Und daß sie das für ihn tat, erfüllte Hanse mit großem Stolz.
Er fragte, ob die Zeit, da seine Wünsche erfüllt wurden, vorbei sei. Und der Große Gott antwortete, ja, aber er dürfe sich noch etwas wünschen, das sein eigenes Leben betraf. Hanse, in dem plötzlich ein Diplomat erwachte, sagte, das sei bedauerlich, denn er hätte sich gern noch gewünscht, die Frau, die er liebte, Mignureal, würde einen Hauch der Schönheit und Herrlichkeit und Sinnlichkeit der Göttin Eshi bekommen, die für ihn unerreichbar war.
»Vater-r …«, begann Eshi, doch Ils bedeutete ihr zu schweigen.
»Und so stehst du wieder vor mir, Hanse«, sagte er. »Und nun nenne mir deinen Lebenswunsch.«
»Er ist dreifacher Art«, gestand Hanse. »Ich möchte erstens, daß weder ich noch jemand, der mir nahesteht und mir lieb und teuer ist, den Augenblick meines unvermeidbaren Todes erfährt. Habe ich mich da richtig ausgedrückt?«
»Unmißverständlich«, versicherte ihm die ruhige, klangvolle Stimme des Mächtigsten. »Es sei dir gewährt. Und?«
»Ich wünsche mir überlegene Geschicklichkeit im Umgang mit Waffen sowie Gesundheit und Glück«, erklärte Hanse. »Und daß ich alles vergesse, was geschehen ist; alles, was ich gedacht und getan und gewünscht habe (von dem Traum abgesehen, den ich mit Mignureal, der S’danzotochter, gemein habe), seit ihr mich in der Sache mit Vashanka zu euch gerufen habt.«
Einen Augenblick herrschte Stille. Dann sprach der Schatten, der lebende Gott, der den Schatten personifizierte und zur Rechten seines Vaters saß. »Was? Du möchtest vergessen, daß du mein Sohn bist?« Die Stimme klang rauschend, wie es sich für einen Schatten unter Schatten geziemte, doch das letzte Wort kam wie ein Donnerschlag.
Hanse blickte zu Boden. »Ja.«
»Was?« staunte auch Eshi. »Du möchtest alles vergessen, was du getan hast – ja vergessen, daß du mit mir im Bett warst?«
Wieder half seine Diplomatie Hanse: »Ich habe beschlossen, ein Mensch und sterblich zu sein, o personifizierte Schönheit. Wie könnte ein Mann seinen Seelenfrieden finden, der Euch gesehen, ja Euch sogar in den Armen gehalten hat? Das ist zuviel, Göttin Eshi. Ihr dürft nicht zulassen, daß ich mich daran entsinne und daß mich die Erinnerung quält an das was war und was hätte sein können.«
Da wurde sie sogar noch schöner und so unwiderstehlich wie das Wort, und ihr Lächeln glich Sonnenstrahlen und Mondschein, die ihn in ihrer Wärme badeten. »So sei es denn«, sagte sie und wurde zu einer gut aussehenden Frau in Weiß, und nicht mehr.
»Dein Sohn, Shalpa mein Sohn, ist sehr weise«, sagte Er-mit-den-Tausend-Augen. »Doch möchte ich dir eines zu bedenken geben, Hanse, Gottsohn, viel, sehr viel der Welt steht dir offen. Wir haben uns besprochen, du könntest sogar bei uns bleiben, um für immer und alle Zeit über die Sterblichen auf der Erde zu herrschen. Möchtest du da wirklich statt dessen einer von ihnen sein?«
»Ja …« Hanse schluckte schwer. »…Großvater.«
»Du könntest auch weiterhin jeden Wunsch erfüllt bekommen, solange du in dem Land bist, über das wir wachen, ja sogar den größten aller Wünsche: Daß jeder deiner Wünsche in Erfüllung geht.«
»Ihn«, bestätigte Shalpa mit rauschender Stimme, »und dann Vergessen.«
Hanse fiel auf die Knie und seine Stimme bebte: »Laßt mich Hanse sein! «
»Es ist die verdammte ewige Wahrheit«, sagte Eshi. »Dein charmanter halbsterblicher Sohn ist ein verdammter Weiser, Shalpa!«
»Ja, aber verdammt«, entgegnete ihr Bruder. »Verdammt durch seine eigene Zunge und seinen eigenen Wunsch. Der Bezwinger eines Gottes, der Retter seiner Stadt und Stürzer eines Reiches, der Sohn eines Gottes und Geliebter einer Göttin – und von einem Gott geliebt, eh? –, verdammt zur Sterblichkeit, zur Menschlichkeit, durch seinen eigenen dummen Wunsch!« Und der Schatten der Schatten – verschwand.
»Sagt meinem Vater«, bat Hanse leise, »ich habe darunter gelitten, daß ich meinen Vater nicht gekannt habe, und erst recht, als ich erfuhr, wer er ist. Sagt ihm, daß – daß sein Sohn
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