Sturm ueber roten Wassern
zu tun, was außerhalb von Saljescas privater Domäne gegen das Gesetz verstieß - Menschen, die sozial unter ihnen standen, nach Lust und Laune zu demütigen und zu schikanieren. Die Arena und der Vergnügungskrieg dienten lediglich als Vorwand, um diese sadistischen Instinkte ausleben zu können, waren schlichtweg Mittel zum Zweck.
Dieses Spiel unterlag keinem System, es gab nicht einmal den Anschein von Gerechtigkeit. Wenn Gladiatoren oder Gefangene vor Publikum kämpften, taten sie dies aus einem bestimmten Grund; sie riskierten ihr Leben, um Ruhm zu ernten oder den Preis dafür zu zahlen, dass man sie bei einer Schandtat erwischt hatte. Männer und Frauen wurden für Vergehen gehängt, weil der Korrupte Wärter nicht jedem helfen konnte, der dumm, ungeschickt oder nachlässig war – oder einfach nur Pech hatte. Doch was hier geschah, war schiere Boshaftigkeit.
Locke spürte, wie sich der Zorn in seinen Eingeweiden ausbreitete wie ein giftiges Geschwür.
Diese Leute hier hatten keinen blassen Schimmer, wer er war oder was er bewirken konnte. Sie ahnten nicht, wozu der Dorn von Camorr fähig war, wenn er sich Salon Corbeau als Zielscheibe für seinen Groll auserkoren und sich obendrein von Jean helfen ließ! Es brauchte nur wenige Monate der Beobachtung und Planung, und die Gentlemen-Ganoven konnten diesen Ort auseinandernehmen; mit Sicherheit würden sie einen Weg finden, um beim Vergnügungskrieg zu mogeln -um die Teilnehmer auszurauben, Lady Saljesca zu bestehlen, diese grausamen Bestien in den Staub zu treten und zu erniedrigen; sie konnten den Ruf der Demi-Stadt so schwer schädigen, dass kein Mensch mehr den Wunsch verspürte, sich an diese Stätte der Brutalität und Infamie zu begeben.
Aber …
»Korrupter Wärter«, flüsterte Locke, »warum jetzt? Aus welchem Grund zeigst du mir dieses schändliche Spektakel ausgerechnet in diesem Augenblick?«
In Tal Verrar wartete Jean auf ihn, und sie steckten bereits bis zum Hals in einem Coup, den sie ein Jahr lang vorbereitet hatten. Jean hatte keine Ahnung, was wirklich in Salon Corbeau vorging. Er ging davon aus, dass Locke schon bald mit einem Satz Stühle zurückkam, damit sie ihr Projekt, das sie gemeinsam ausgetüftelt hatten, zu Ende bringen konnten – ein Vorhaben, das mittlerweile in eine äußerst heikle Phase eingetreten war.
»Mögen die Götter diesen Ort verdammen!«, fluchte Locke. »Und diese gesamte Brut in die Hölle schicken!«
5
Camorr, ein paar Jahre zuvor. Die feuchten, tröpfelnden Nebelschwaden hüllten Locke und Vater Chains in mitternachtsgraue Vorhänge, als der alte Mann den Jungen von seiner ersten Begegnung mit Capa Vencarlo Barsavi nach Hause brachte. Locke, beschwipst und schweißnass, klammerte sich am Rücken der Gebrochenen Ziege fest, auf der er ritt, als ginge es um sein Leben.
»… auf gar keinen Fall gehörst du jetzt Barsavi, Locke«, dozierte Chains. »Der Capa ist ein wichtiger Mann, ein starker Verbündeter, mit dem man es sich nicht verscherzen sollte, und es muss immer so aussehen, als ob du ihm widerspruchslos gehorchst. Aber natürlich bist du nicht sein Eigentum. Im Grunde bin nicht einmal ich dein Besitzer.«
»Also muss ich gar nicht …«
»Den Geheimen Frieden respektieren? Ein braver kleiner pezon sein? Nur nach außen hin, Locke. Um die Wölfe von deiner Tür fernzuhalten. Wenn du in den letzten zwei Tagen gut aufgepasst hast, mein Junge, und nicht mit Blindheit und Taubheit geschlagen warst, dann müsstest du mittlerweile kapiert haben, was ich aus dir, Calo, Galdo und Sabetha machen will«, vertraute Chains ihm breit grinsend an. »Denn wenn ich erst mit euch fertig bin, dann seid ihr die tödlichen Pfeile, die ich Vencarlos kostbarem Geheimen Frieden mitten ins Herz schießen werde.«
»Äh …« Es dauerte eine Weile, bis Locke seine Gedanken gesammelt hatte. »Warum?«
»Hmm. Das ist … ziemlich kompliziert. Es hat damit zu tun, wer ich bin, und was eines Tages hoffentlich aus dir werden wird. Ein Priester, der geschworen hat, in den Dienst des Korrupten Wärters zu treten.«
»Macht der Capa etwas verkehrt?«
»Tja«, erwiderte Chains, »tja, mein Junge, das ist die große Frage. Nützt er den Richtigen Leuten? Bei den Göttern, ja, das tut er – der Geheime Friede hält uns die Stadtwache vom Hals, sorgt allgemein für Ruhe, bewirkt, dass nicht mehr so viele von uns gehängt werden. Nichtsdestoweniger unterliegt jede Priesterschaft bestimmten Geboten – und die Götter
Weitere Kostenlose Bücher