Sturm ueber roten Wassern
das einzige Kapital, das sie auf dieser Welt hatte. Der Oberste Dämon zog vor der Menge eine regelrechte Schau ab, indem er einen funkelnden Dolch mit gekrümmter Scheide über seinem Kopf schwang und dabei ein Triumphgeheul ausstieß. Verzweifelt versuchte die Frau, sich gegen die fünf Paar Fäuste zu wehren, die sie festhielten, doch natürlich half ihr dieser Widerstand nicht im Geringsten. Mit schnellen, schmerzhaften Schnitten hackte der oberste Dämon an ihren langen schwarzen Locken herum – taumelnd fielen sie nach unten, bis der Boden mit ihnen bedeckt war und nur noch ein paar vereinzelte, unregelmäßige Büschel von dem kahlen Schädel abstanden. Blut tröpfelte in Rinnsalen über ihr Gesicht und den Hals, als man die Frau, die zu erschöpft war, um sich zu sträuben, aus der Arena schleifte.
In diesem Stil ging es weiter; während Locke mit wachsendem Unbehagen zusah, kroch die unbarmherzige Sonne über den Himmel, und die Schatten verkürzten sich. Die lebenden Figuren bewegten sich auf den glühend heißen Quadraten, ohne Wasser und ohne Pause, bis sie vom Spielfeld genommen und einer Strafe, die der gegnerische Kriegsführer bestimmte, unterworfen wurden. Locke brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass die Strafe buchstäblich jede Form annehmen konnte, mit Ausnahme einer Hinrichtung. Die Dämonen befolgten die Befehle mit Wonne und schmückten jede neue Verletzung oder Demütigung für das hingerissene Publikum aus.
Ob Götter, dämmerte es Locke, kaum einer ist hier wegen des Spiels. Sie sind nur gekommen, um sich die Bestrafungen anzusehen.
Die Reihen von bewaffneten Wächtern verhinderten jede Möglichkeit zur Verweigerung oder Rebellion. Die »Spielfiguren«, die zögerten, schleunigst die ihnen zugewiesenen Plätze einzunehmen oder es wagten, ohne Aufforderung ihre Quadrate zu verlassen, wurden einfach so lange verprügelt, bis sie gehorchten. Zum Schluss gab jeder nach, und im Verlauf des Spiels wurden die Strafen immer grausamer. »Faules Obst!«, kreischte der Junge in der Loge des Schwarzen Kriegsherrn, und dann spielte sich Folgendes ab: Eine alte Frau in einem weißen Überwurf wurde gegen die Wand des Stadions geschleudert und von vier Dämonen mit Äpfeln, Birnen und Tomaten beworfen. Sie stießen die Frau zu Boden und fuhren mit dem Hagel an fauligen Geschossen fort, bis die Alte sich als bibberndes Häufchen Elend auf dem Boden zusammenkrümmte, die schwachen Arme schützend um das Gesicht geschlungen, und hinter ihr große Spritzflecken aus saurem Fruchtfleisch und Saft von der Wand tropften.
Die Rache der Weißen Kriegsherrin folgte auf dem Fuß. Sie kassierte einen stämmigen jungen Burschen in Schwarz ein und bestimmte zum ersten Mal selbst die Strafe: »Wir dürfen das Stadion unserer Gastgeberin nicht beschmutzen. Stellt ihn vor die Wand mit den Obstflecken«, keifte sie, »und dann soll er sie mit der Zunge ablecken!«
Nach dieser Ankündigung brach die Menge in frenetischen Beifall aus; der Oberste Dämon schubste den Mann vor die besudelte Wand. »Fang an zu lecken, du Abschaum!«
Die ersten Bemühungen fielen halbherzig aus. Ein anderer Dämon zückte eine Peitsche mit sieben Schnüren, in die Knoten eingeflochten waren, und drosch damit auf den jungen Mann ein; der prallte so heftig gegen die Wand, dass seine Nase blutete. »Verdiene dir deinen verdammten Lohn, du Wurm!«, brüllte der Dämon und hieb weiter zu. »Hat dir noch nie eine Frau gesagt, dass du dich bücken und deine Zunge benutzen sollst?«
Verzweifelt fuhr der Mann mit der Zunge die Wand auf und ab, alle paar Sekunden würgend, was ihm jedes Mal einen Peitschenhieb einbrachte. Als der arme Kerl endlich vom Boden aufgesammelt und fortgeschleift wurde, war er ein blutendes, sich dauernd übergebendes Nervenbündel.
In dieser Art ging es den ganzen Vormittag über weiter.
»Grundgütige Götter, warum machen die Leute so was mit? Wieso lassen sie sich das gefallen?« Locke stand in der kostenlosen Galerie, mutterseelenallein, und beobachtete die Reichen und Mächtigen, ihre Wächter und Diener, sowie die sich lichtenden Reihen der lebenden Spielfiguren in der Arena. In seiner schweren, schwarzen Kleidung schwitzend, verfiel er in finsteres Grübeln.
Hier trafen sich die wohlhabendsten und unabhängigsten Persönlichkeiten von ganz Therin; Leute, die über einen gesellschaftlichen Rang und Geld verfügten, aber von keinerlei politischen Pflichten behindert wurden, hatten sich hier versammelt, um das
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