Sturm ueber roten Wassern
jähen Ruck nach unten.
Es war eine jämmerliche Falle; die Seile waren schlaff und segelten in Windungen über die Felskante. Ihr Peiniger sah auf seine Füße, sprang hoch und trat zur Seite, während sieben oder acht Fuß von jeder Sicherungsleine über den Klippenrand flogen.
»Ha! Nichts für ungut, aber da müsst ihr schon früher aufstehen, werte Herren!« Eine misstönende Melodie pfeifend, verschwand er wieder aus ihrem Gesichtskreis und nahm das Hacken wieder auf. Kurz darauf stieß er einen Triumphschrei aus, und Lockes zusammengerollte Sicherungsleine sauste über die Kante nach unten. Hastig drehte Locke das Gesicht zur Seite, als das Tau direkt an ihm vorbei in die Tiefe schoss; bald baumelte es von seinem Gurt in der Luft, wobei das ausgefranste Ende immer noch viel zu weit vom Boden entfernt war, um einen sicheren Abstieg zu ermöglichen.
»Mist!«, fluchte Locke. »Pass auf, Jean, wir machen Folgendes: Als Nächstes wird er mein Hauptseil kappen. Lass uns die Arme ineinander verschränken. Ich rutsche an deinem Hauptseil hinunter, verknote es dann mit dem Rest, der von meinem Seil geblieben ist, und auf diese Weise können wir vielleicht bis auf ungefähr zwanzig Fuß den Boden erreichen. Wenn ich meine Sicherungsleine hochziehe und sie an das Ende unserer beiden Hauptseile knote, reicht es bis ganz nach unten.«
»Kommt drauf an, wie schnell dieses Arschloch an den Tauen säbelt. Denkst du, du kriegst die Knoten rechtzeitig hin?«
»Mir bleibt gar nichts anderes übrig. Auf jeden Fall sind meine Finger flink genug.
Selbst wenn ich nur ein einziges Seil anbringe, macht es schon einen gewaltigen Unterschied. Ich möchte lieber zwanzig Fuß tief fallen als achtzig.«
In diesem Augenblick ertönte über ihren Köpfen leises Donnergrollen. Als Locke und Jean hochblickten, platschten auch schon die ersten vereinzelten Regentropfen in ihre Gesichter.
»Das Ganze könnte richtig komisch sein«, meinte Locke, »wenn jemand anders als wir an diesen beschissenen Seilen hinge.«
»Wenn ich die Wahl hätte, wären mir jetzt sogar die angriffslustigen Tauben lieber als dieses abgefuckte Arschloch da oben«, grunzte Jean. »Ich könnte mich in den Hintern treten, dass ich die Bösen Schwestern dagelassen habe! Tut mir leid, Locke.«
»Warum in Venaporthas Namen hättest du sie zum Klettern mitnehmen sollen? Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.«
»Dabei fällt mir ein, dass ich noch was ganz anderes versuchen könnte. Hast du zufällig ein Stilett im Ärmel?«
»Im Ärmel nicht, aber in meinem Stiefel.« Mittlerweile prasselte der Regen in Strömen auf sie herab, durchweichte ihre Tuniken und benetzte die Seile. Wegen ihrer leichten Kleidung und der frischen Brise fühlte sich der Schauer viel kälter an, als er in Wirklichkeit war. »Und was ist mit dir?«
»Ich hab mein Messer schon in der Hand.« Locke sah in Jeans rechter Faust blanken Stahl blitzen. »Eignet sich dein Stilett zum Werfen, Locke?«
»Scheiße, nein.«
»Macht nichts. Halte es in Reserve. Und sprich ein stummes, inbrünstiges Gebet.« Jean nahm die Brille ab und steckte sie in den Kragen seiner Tunika. Dann hob er die Stimme. »Hey! Schafficker! Auf ein Wort, wenn ich bitten darf!«
»Ich dachte, wir hätten uns nichts mehr zu sagen«, drang die Stimme des Mannes von oben herunter.
»Das stimmt auch! Ich wette, nachdem du so viele Worte in so kurzer Zeit von dir gegeben hast, fühlt sich dein Gehirn an wie eine ausgequetschte Zitrone. Du wärst nicht mal schlau genug, den Erdboden zu finden, wenn ich dich aus einem Fenster werfe. Hörst du auch gut zu? Du musst deine Schuhe und die Hose ausziehen, wenn du bis einundzwanzig zählen willst! Und wenn du wissen willst, wie der Arsch einer Kakerlake aussieht, musst du nach oben schauen!«
»Hilft es dir, mich so anzuschreien? Du solltest lieber zu deinem blödsinnigen Dreizehnten beten oder so, aber was weiß ich schon? Schließlich bin ich keiner von euren hochgestochenen Verrari- fentalozzers, oder?«
»Willst du wissen, warum es besser wäre, uns am Leben zu lassen? Willst du wissen, warum es klug gewesen wäre, auf unsere Vorschläge einzugehen?«, brüllte Jean aus Leibeskräften, während er seine Füße fester gegen die Felswand stemmte und mit dem rechten Arm ausholte. Über ihnen grummelte der Donner. »Siehst du das hier, du Idiot? Siehst du, was ich in der Hand halte? So was siehst du nur ein einziges Mal in deinem Leben! Und diesen Anblick wirst du nie
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