Sturm ueber roten Wassern
oder hattest du was anderes erwartet?« »Könnt ihr zwei eines meiner Seile an deinem Gürtel befestigen?« Locke und Trav murmelten kurz miteinander. »Ja, es müsste gehen«, rief Locke nach oben. »Was hast du vor?«
»Das Arschloch soll sich ganz fest an dich klammern. Und sobald mein Seil an deinem Klettergurt festgezurrt ist, stemmst du dich mit Armen und Beinen vom Felsen ab. Ich werde mein Bestes geben, euch nach oben zu ziehen, aber ein bisschen Unterstützung kann nicht schaden.«
»Genau. Du hast gehört, was der Mann gesagt hat, Trav. Und jetzt binden wir einen Knoten. Pass auf deine Hände auf.«
Als Locke nach oben sah und Jean ihr privates Handzeichen für es kann losgehen gab, nickte Jean. Das Tau, das Locke nun mit seinem Gurt verknüpfte, war Jeans frühere Sicherungsleine; er griff nach dem Ende, das vor dem säuberlich aufgerollten Tau auf dem nassen Boden lag, und runzelte die Stirn. Der matschige Untergrund machte das Unterfangen noch schwieriger, als es ohnehin schon war, aber daran konnte er beim besten Willen nichts ändern. Er formte aus dem Seil eine große Bucht, trat hinein und straffte das Tau um seine Taille. Dann lehnte er sich nach hinten, weg vom Abgrund, hielt das Seil vorne und hinten fest und räusperte sich. »Habt ihr Lust, nach oben zu kommen, oder soll ich euch noch eine Weile hängen lassen?«
»Jerome, wenn ich Trav auch nur eine Sekunde länger als unbedingt nötig in den Armen halten muss, dann fange ich an zu schreien und höre nie wieder auf …« »Dann klettere jetzt los!« Jean grub seine Hacken in den Boden, lehnte sich noch weiter nach hinten und begann am Seil zu ziehen. Bei den Göttern, er war ein kräftiger Mann, ungewöhnlich stark, aber wieso musste er immer wieder in Situationen geraten, die ihn daran erinnerten, dass auch er seine Grenzen hatte? Er war lasch gewesen; dafür gab es kein anderes Wort. Und er schwor sich, wenn dies hier noch einmal gut ginge, würde er Kisten mit Steinen füllen und sie täglich ehrere Dutzend Male stemmen, wie er es in seiner Jugend getan hatte … verflucht, wollte sich das Tau denn überhaupt nicht bewegen?
Endlich, nach mehreren mühsamen, fruchtlosen Anläufen, tat sich etwas; langsam schob sich Jean einen Schritt zurück. Dann den nächsten … und noch einen. Mit Unterbrechungen, während denen in seinen Beinmuskeln ein Feuer zu brennen schien, rackerte er sich ab wie ein überlasteter Gaul vor einem Pflug, tiefe Furchen in den mit Steinen durchsetzten grauen Schlamm wühlend. Schließlich erschienen zwei Hände an der Abbruchkante; begleitet von Schreien und Flüchen hievte sich Trav nach oben und rollte sich nach Luft ringend auf den Rücken. Sofort verringerte sich der Zug, den das Seil auf Jean ausübte; er arbeitete mit demselben Kraftaufwand weiter, und einen Moment später quälte sich Locke über den Rand. Er rappelte sich auf die Füße, taumelte zu Trav und verpasste dem verhinderten Banditen einen Tritt in den Magen.
»Du verdammter Mistkerl! Wie blöd kann man nur sein, um so einen Scheiß zu fabrizieren? Nichts wäre einfacher gewesen als zu sagen: ›Ich lasse jetzt ein Seil zu euch herunter. Ihr bindet eure Geldbörsen daran fest, damit ich sie hochziehen kann … und wenn ihr euch weigert, lasse ich euch solange da unten baumeln, bis ihr weich werdet.‹ Man sagt seinen Opfern doch nicht von vornherein, dass man sie umbringen wird! Zuerst redet man vernünftig mit ihnen, und wenn man das Geld eingesteckt hat, haut man ab!«
»Oh … Aua! Bei den Göttern, bitte. Auaaaa! Du hast doch versprochen, mich am Leben zu lassen!«
»Und ich halte mein Wort. Ich habe nicht vor, dich zu ermorden, du dämlicher Scheißkerl! Ich werde dich nur so lange treten, wie es mir Spaß macht!«
»Aua! Agggh! Bitte! Auaaaaaaa!«
»Ich muss schon sagen, ich kann gar nicht mehr aufhören, so schön ist es!« »Aiiiah!
Au!«
»Na ja, ich amüsiere mich immer noch prächtig!« »Oooof! Agh!«
Endlich ließ Locke von dem unglücklichen Verrari ab, löste seinen Klettergurt und warf ihn in den Matsch. Schnaufend und keuchend kam Jean angewankt und reichte ihm seinen patschnassen Rock.
»Danke, Jerome.« Seinen Rock wieder anziehen zu können – auch wenn er vor dem Tragen ausgewrungen werden musste – schien ein kleines Trostpflaster für Lockes verletzten Stolz zu sein. »Und nun zu dir – Trav. Trav von Vo Sarmara, sagtest du?«
»Ja! Oh, bitte, treten Sie mich nicht wieder …«
»Pass auf, Trav. Jetzt erkläre
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