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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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vergessen!« Sekunden später tauchten Kopf und Oberkörper des Mannes über dem Rand der Klippe auf. Jean stieß einen lauten Schrei aus, während er mit aller Kraft sein Messer schleuderte. Der Schrei verwandelte sich in ein Triumphgeheul, als er sah, wie der verschwommene Umriss seiner Waffe mitten in das Gesicht ihres Schinders knallte … um gleich danach in ein frustriertes Stöhnen überzugehen, denn das Messer prallte ab und fiel in den Abgrund hinunter. Anstatt mit der Klinge war es mit dem Griff aufgeschlagen.
    »Verdammter Regen!«, heulte Jean.
    Doch zumindest hatte er dem Banditen schlimme Schmerzen bereitet. Jammernd hielt sich der Kerl das Gesicht und wankte nach vorn. Ein hübscher harter Schlag in die Augen? Jean hoffte es aus tiefstem Herzen – vielleicht blieben ihm ein paar Sekunden, um den Angriff zu wiederholen. »Locke, dein Stilett, schnell!«
    Locke tastete gerade nach seinem rechten Stiefel, als der Mann die Arme ausbreitete, um die Balance zu halten, trotzdem das Gleichgewicht verlor und schreiend über den Klippenrand kippte. Mit einer Hand kriegte er Lockes Hauptseil zu fassen und landete direkt in der Schlinge des Taus, die sich zwischen dem Abseilhaken und Lockes Klettergurt befand. Der Ruck riss Lockes Beine vom Felsen weg und presste ihm den Atem aus der Lunge; einen Augenblick lang stürzten Locke und der Bandit im freien Fall nach unten, kreischend, verzweifelt mit den Gliedmaßen rudernd, ein Gewirr aus Armen und Beinen, ohne den Widerstand durch den Abseilhaken, der das Tau hätte straffen müssen.
    Mit äußerster Kraftanstrengung gelang es Locke, das freie Ende des Seils mit der linken Hand zu packen und heftig daran zu zerren; auf diese Weise brachte er genug Spannung in das Seil, um den Fall abrupt zu stoppen. Zusammen schwangen die beiden Männer in Richtung der Felsflanke, wobei der Bandit den Aufprall abfing, und dort baumelten sie als zwei ineinander verhakte Körper, während Locke nach Luft schnappte und sich bemühte, seine Sinne zusammenzuklauben. Der Bandit strampelte wild mit den Beinen und schrie sich die Lunge aus dem Leib.
    »Ruhe, du verdammter Idiot!« Sie waren ungefähr fünfzehn Fuß tief gefallen; hastig glitt Jean zu ihnen hinunter, stützte sich mit den Füßen am Felsen ab, streckte eine Hand aus und packte den Banditen beim Haarschopf. Nun, da die Kapuze heruntergerutscht war, konnte Locke sehen, dass der Kerl ergraut war wie ein halbverhungerter Hund. Er mochte um die vierzig sein, hatte langes, fettiges Haar und einen grauen Bart, so struppig wie die Grasbüschel am Klippenrand. Sein linkes Auge war zugeschwollen. »Hör auf zu zappeln, Blödmann! Halt still!«
    »Oh, bei den Göttern, lasst mich nicht fallen! Bitte, tötet mich nicht!«
    »Und warum sollten wir bei dir Gnade walten lassen, du Mistkerl?« Locke ächzte, grub seine Fersen in das Gestein und verrenkte sich, um mit der rechten Hand die Oberkante seines Stiefels zu erreichen. Im nächsten Moment drückte er dem Banditen ein Stilett an die Kehle, und das panische Hampeln des Mannes verwandelte sich in ein ängstliches Schlottern.
    »Siehst du das?«, zischte Locke. Der Bandit nickte. »Das ist ein Stilett. Gibt es so was in der Art, wo auch immer du her kommst, du Scheißhaufen?« Der Mann nickte wieder. »Dann weißt du, dass ich dich damit abstechen und dann einfach in die Tiefe fallen lassen kann, oder?«
    »Bitte, bitte, tun Sie mir das nicht an …«
    »Halt die Klappe und hör mir zu. Das Seil, an dem wir beide jetzt hängen – das einzige Seil, wohlgemerkt, zwischen uns und einem Willkommensgruß von Aza Guilla – ist das vielleicht zufällig das Seil, an dem du vorhin herumgehackt hast?«
    Der Mann nickte heftig, das unversehrte Auge weit aufgerissen.
    »Ist das nicht toll? Nun ja, wenn es nicht gerissen ist, als du drauf gefallen bist, hält es vielleicht noch ein bisschen länger.« Irgendwo über ihnen zuckten weiße Lichter, und der Donner krachte lauter als zuvor. »Wir werden ja sehen. Aber du darfst dich nicht bewegen. Halte Arme und Beine still. Wehr dich nicht. Und mach keine Dummheiten, kapiert?«
    »Ich tue alles, was Sie sagen, Herr. Oh bitte …«
    »Schnauze!«
    »Lo … äh … Leocanto«, mischte Jean sich ein. »Ich finde, dieser Bursche sollte fliegen lernen.«
    »Ich denke dasselbe«, erwiderte Locke. »Aber Diebe sind gesegnet, nicht wahr, Jerome?
    Hilf mir, diesen Hurensohn irgendwie nach oben zu schaffen.«
    »Oh, danke, danke …«
    »Weißt du, warum ich

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