Sturm ueber roten Wassern
dich nicht einfach fallen lasse, damit du als Haufen Knochen da unten landest, du hirnloser Hinterwäldler?«
»Nein, aber ich …«
»Sei still. Wie heißt du?«
»Trav!«
»Trav und wie weiter?«
»Einen anderen Namen als Trav hab ich nie nicht gehört, Herr. Ich bin Trav von Vo Sarmara, das ist alles.« »Und du bist ein Dieb? Ein Wegelagerer?«
»Ja, ja, ich bin …«
»Sonst nichts? Hast du Arbeit? Verdienst du auch auf ehrliche Weise Geld?« »Äh … Nein, es ist schon ziemlich lange her, seit ich …«
»Gut. Dann sind wir in gewisser Weise Brüder. Pass auf, mein ungewaschener Freund, du musst wissen, dass es tatsächlich einen Dreizehnten gibt. Ihm dient eine Priesterschaft, der ich zufällig angehöre. Kapiert?« »Wenn Sie es sagen …«
»Nein, halt’s Maul. Ich will nicht, dass du mir nach dem Mund redest. Ich will, dass du deinen kleinen Verstand benutzt, ehe er noch weiter einschrumpft. Ich habe dir mein Messer an die Kehle gesetzt, wir hängen an einem Seil siebzig Fuß über dem Boden, es schüttet wie aus Eimern, und du hast gerade versucht, mich umzubringen. Dafür sollte ich dir wirklich ein rotes Grinsen von einem Ohr zum anderen verpassen und dich dann einfach fallen lassen. Ich habe ein Recht, so mit dir umzuspringen. Stimmst du darin mit mir überein?«
»Oh, ja, gewiss doch, Herr. Gütige Götter, es tut mir ja so schrecklich leid …« »Schnauze, du Spatzenhirn. Du pflichtest mir also bei, dass ich schon einen sehr triftigen Grund haben muss, um mich nicht an dir zu rächen, oder?« »Ich … äh … so muss es wohl sein!«
»Wie ich bereits sagte, bin ich ein geweihter Diener des Korrupten Wärters. Ich habe mich dazu verpflichtet, die Gebote des Gottes einzuhalten, der unseresgleichen beschützt. Wie töricht muss einer sein, die Regeln des Gottes zu missachten, der sich für unsereins zuständig fühlt? Und ich würde mich hüten, den Dreizehnten noch mehr zu verärgern, weil ich in letzter Zeit kein besonders gehorsamer Diener war.« »Äh …«
»Im Grunde müsste ich dich töten. Stattdessen werde ich versuchen, dein Leben zu retten. Und von dir verlange ich nur, dass du dir darüber ein paar Gedanken machst. Glaubst du jetzt immer noch, dass ich ein Ketzer bin?«
»Ich … äh … bei den Göttern, Herr, ich kann überhaupt nicht mehr klar denken …« »Nun, an den Zustand dürftest du wohl gewöhnt sein. Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe. Ruhig bleiben. Kein Strampeln, kein Herumfuchteln, kein Geschrei. Und beim geringsten Versuch, mir etwas anzutun, gilt unsere Abmachung nicht mehr. Leg deine Arme um meine Brust und sei still. Wir sind noch lange nicht in Sicherheit.«
2
Auf Lockes Drängen hin kletterte Jean als Erster hinauf, Hand über Hand kämpfte er sich an der glatten Felsklippe hoch, nur halb so gewandt wie sonst. Oben angekommen, löste er hastig seine eigene Sicherungsleine vom Gürtel und ließ sie zu Locke und seinem zutiefst erschütterten Passagier herab. Als Nächstes entledigte er sich seines Klettergurts und ließ sein Hauptseil an der Felsflanke hinunter, bis es ebenfalls neben den in der Wand hängenden Männern baumelte. Es sah nicht besonders gut für sie aus, aber mit drei intakten Seilen in Reichweite verringerte sich die Gefahr zumindest ein bisschen.
Jean hob seinen Gehrock vom Boden auf und warf ihn sich über, dankbar für den Schutz, den er ihm vor dem Regen bot, obwohl er genauso triefend nass war wie seine übrige Bekleidung. Er überlegte fieberhaft. Trav sah aus wie ein Bündel aus Haut und Knochen, und Locke war schmächtig gebaut … zusammen wogen die beiden bestimmt nicht mehr als dreihundert Pfund. Jean war davon überzeugt, dass er dieses Gewicht bis auf Brusthöhe stemmen konnte, vielleicht sogar bis über den Kopf. Aber bei diesem schweren Regen, und wo so viel auf dem Spiel stand? Seine Gedanken wandten sich der Kutsche zu, die auf sie wartete; doch um sie zu erreichen, musste man eine Viertelmeile durch den Wald marschieren. Ein Pferd wäre in dieser Situation eine große Hilfe gewesen, selbst ein kräftiger Mann, der mit anpacken konnte, hätte eine ganze Menge ausgemacht; doch wenn er sich Beistand holte, ging viel Zeit verloren, hinzu käme noch das Problem, einen Gaul, dessen Herr vor Kurzem bewusstlos geschlagen worden war, abzuschirren, zu beruhigen und bis zur Steilklippe zu führen …
»Scheiß drauf!« Er verwarf diesen Plan und trat an den Abgrund zurück. »Leocanto?« »Ich bin immer noch da,
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