Sturm ueber roten Wassern
Klause noch ruhiger zu als sonst. Die meisten der Feiernden und der Geschäftsleute, die sich um die Bedürfnisse ihrer Kunden kümmerten, hatten sich noch bis spätnachts auf der Goldenen Treppe herumgetrieben und würden erst im Laufe des Vormittags aufstehen. Ohne dass sie sich darüber verständigt hätten, bestand Lockes und Jeans Frühstück an diesem Morgen aus leichten Häppchen, geeignet, um nervös daran herumzuknabbern: kalte Haifilets in Zitronenmarinade, Schwarzbrot und Butter, irgendein bräunlicher Fisch, in Orangensaft gekocht, und dazu Kaffee – in der größten Keramikkanne, die die Kellnerin auftreiben und auf ihren Tisch stellen konnte. Die beiden Diebe hatten sich noch nicht ganz an ihren so plötzlich veränderten Tagesrhythmus gewöhnt, der abends ein zeitiges Zurückziehen in ihre Gemächer und morgens ein frühes Aufstehen erforderte.
»Es sei denn, die Soldmagier haben noch eine weitere Partei auf unsere Anwesenheit in Tal Verrar aufmerksam gemacht«, sinnierte Locke. »Und der könnten sie sogar auf die Sprünge helfen.«
»Wenn die zwei Attentäter im Hafen mit Unterstützung der Soldmagier gehandelt hätten, wären wir bestimmt nicht mehr am Leben. Komm schon. Wir beide wussten, dass sie hinter uns her sein würden, um sich wegen des Falkners an uns zu rächen.
Und wenn sie uns einfach nur umbringen wollten, wären wir längst tot. In einer Hinsicht hat Stragos bestimmt recht – sie wollen mit uns spielen. Deshalb bleibe ich bei meiner Vermutung, dass irgendeine dritte Partei sich durch Kosta und de Ferra geschädigt fühlt. Das macht Durenna, Corvaleur und Lord Landreval zu Verdächtigen.«
»Landreval ist schon seit Monaten nicht mehr hier gewesen.«
»Das schließt ihn nicht völlig aus. Aber dann wären da immer noch die beiden charmanten Damen.«
»Nun, ich … also ich bin fest davon überzeugt, dass die Frauen selbst Hand anlegen und diese Sache nicht irgendwelchen Mietlingen überlassen würden. Durenna ist eine berüchtigte Fechterin, und ich habe gehört, dass Corvaleur sich in etlichen Duellen erfolgreich geschlagen hat. Vielleicht würden sie Helfer anheuern – für alle Fälle –, aber diese Frauen sind von der Sorte, die eigenhändig zur Tat schreitet.«
»Haben wir bei Blinde Allianzen eine wichtige Persönlichkeit beschissen? Oder in einem anderen Spiel, als wir uns von einer Etage zur nächsten hochgeschummelt haben? Sind wir jemandem auf die Zehen getreten? Oder haben wir in vornehmer Gesellschaft laut gefurzt?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir jemanden so gründlich vergrätzt haben, dass er Meuchelmörder engagiert. Natürlich verliert keiner gern beim Kartenspiel, aber kannst du dich an jemanden erinnern, den wir wirklich bis aufs letzte Hemd ausgezogen haben?«
Jean zog die Stirn kraus und nippte an seinem Kaffee. »Solange wir nicht mehr Einzelheiten in Erfahrung gebracht haben, sind das alles müßige Spekulationen. Jeder in dieser Stadt könnte als Auftraggeber infrage kommen. Zur Hölle, jeder auf der ganzen Welt ist verdächtig!«
»Es läuft also darauf hinaus«, resümierte Locke, »dass wir nichts wissen, bis auf die Tatsache, dass jemand uns umbringen will. Wir sollen nicht verjagt werden, und man hat auch nicht vor, uns auf ein kleines Schwätzchen einzukassieren. Wer immer uns auf dem Kieker hat, will schlicht und ergreifend unseren Tod. Wenn wir uns darüber ein paar Gedanken machen, kommen wir vielleicht drauf …«
Locke unterbrach sich, als er sah, wie die Kellnerin sich ihrem Tisch näherte … dann schaute er genau hin und merkte, dass es gar nicht ihre Bedienung war. Die Frau mit der Lederschürze und der roten Mütze war Merrain.
»Ah«, entfuhr es Jean. »Zeit, die Rechnung zu begleichen.«
Merrain nickte und reichte Locke ein hölzernes Tablett, an dem zwei kleine Zettel befestigt waren. Einer davon war tatsächlich die Rechnung; auf dem anderen stand in einer einzigen Zeile mit fließender Handschrift geschrieben: Erinnern Sie sich an den Ort, an den ich Sie bei unserer ersten Begegnung brachte? Verlieren Sie keine Zeit.
»Tja«, meinte Locke und gab die Botschaft an Jean weiter, »wir würden ja gern noch bleiben, aber der Service lässt mittlerweile sehr zu wünschen übrig. Erwarten Sie kein Trinkgeld.« Er zählte die Kupfermünzen auf das Tablett ab und stand auf. »Am üblichen Ort, Jerome.«
Merrain nahm das Tablett mitsamt dem Geld, verbeugte sich und verschwand in Richtung Küche.
»Hoffentlich ist sie
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