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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Hafengewässer. Locke und Jean konnten sich nicht schnell genug der Hüte und Mäntel entledigen und legten die Sachen dann zu ihren Füßen aufs Deck. Locke schätzte, dass sie ungefähr eine Dreiviertelstunde mit der Gig unterwegs waren. Am liebsten hätte er den Hafen in alle Richtungen erforscht, doch was er durch die offene Front der Galerie sehen konnte, verriet ihm genug. Zuerst steuerten sie nach Südwesten, der Krümmung des Innenhafens folgend, vorbei an der Großen Galerie und der Goldenen Treppe. Dann bogen sie nach Süden ab, das offene Meer zu ihrer Rechten, und flitzten auf eine riesige sichelförmige Insel zu, die der Form nach dem Eiland glich, auf dem der Sündenturm stand.
    Tal Verrars südwestliche Ausläufer waren nicht terrassiert. Sie glichen eher einer natürlichen, unregelmäßigen Hügellandschaft, die durchsetzt war mit einer Reihe von Steintürmen und Brustwehren. Die gigantischen steinernen Kaianlagen und langen hölzernen Docks an der Nordwestspitze umschlossen die Silber-Marina, in der Handelsschiffe repariert oder überholt werden konnten. Doch im Anschluss daran, hinter den dümpelnden Rümpfen alter Galeonen, die darauf warteten, mit neuen Masten oder Segeln ausgerüstet zu werden, erhob sich eine Front aus hohen, grauen Mauern, die abgeschlossene Buchten bildeten. Die Mauerkronen waren mit runden Türmen bestückt, und man erkannte die dunklen Umrisse von Katapulten und patrouillierenden Soldaten. Bald zeigte der Bug ihres Bootes auf die nächste dieser steinernen Einfriedungen.
    »Verdammt will ich sein«, brummte Jean. »Ich glaube, sie bringen uns in die Schwert Marina.«

2
     
     
    In die wuchtigen Steinwälle der künstlichen Bucht waren hölzerne Tore eingelassen. Als sich die Gig näherte, erklangen Rufe von den darüberliegenden Brustwehren, und das Klirren schwerer Ketten hallte über das Wasser, um von den Mauern vielfach verstärkt zurückgeworfen zu werden. Mitten in dem Portal tat sich ein Spalt auf, dann schwangen die beiden Torflügel nach innen, eine kleine Welle vor sich her schiebend. Während das Boot in die Schwert-Marina einfuhr, versuchte Locke, die Abmessungen von allem, was er sah, zu schätzen; die Öffnung in der Mauer musste zwischen siebzig und achtzig Fuß breit sein, und die Balken, aus denen das Portal bestand, waren so dick wie der Torso eines durchschnittlichen Mannes.
    Merrain rief den Rudergasten Anweisungen zu, und die pullten das Boot vorsichtig durch das Hafenbecken; langsam steuerten sie auf einen kleinen hölzernen Steg zu, auf dem ein einzelner Mann stand, um sie in Empfang zu nehmen. Die Rudergasten hatten die Gig in einem bestimmten Winkel angelegt, sodass die Kante der Landebrücke nur den Rumpf in Höhe der Passagiergalerie berührte.
    »Hier werden Sie ausgebootet, meine Herren«, rief Merrain. »Zum Festmachen fehlt uns leider die Zeit. Stellen Sie sich geschickt an, oder Sie werden nass.«
    »Sie sind die Güte in Person, Madam«, erwiderte Locke. »Jetzt tut es mir auch nicht mehr leid, dass ich Ihnen kein Trinkgeld gegeben habe.« Er verließ die Galerie und trat an das rechter Hand liegende Dollbord. Dort wartete der Fremde mit ausgestrecktem Arm darauf, ihm behilflich zu sein. Mit Unterstützung des Mannes sprang Locke leichtfüßig auf den Anleger, und gemeinsam hievten sie dann Jean von Bord.
    Merrains Rudergasten pullten unverzüglich wieder los; Locke sah zu, wie die Gig wendete, auf das Tor zusteuerte und dann mit höchster Geschwindigkeit aus der kleinen Bucht herausschoss. Wieder rasselten Ketten, und das Wasser rauschte, als die Torflügel sich schlossen. Locke blickte hoch und bemerkte, dass mehrere Männer an beiden Seiten des Portals riesige Ankerwinden drehten.
    »Willkommen«, grüßte der Mann, der ihnen aus dem Boot geholfen hatte.
    »Willkommen zu dem verrücktesten Abenteuer, von dem ich je gehört habe und an dem ich nur gezwungenermaßen teilnehme. Ich frage mich, wessen Frau ihr wohl gevögelt habt, um auf diese Selbstmordmission geschickt zu werden.«
    Der Mann war schätzungsweise zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt; sein Brustkorb glich einem Baumstumpf, und sein Bauch hing über den Hosengurt, als versuche er, unter seiner Tunika einen Sack voller Getreide zu schmuggeln. Seine Arme und der Hals waren jedoch so drahtig, dass sie beinahe dürr wirkten, übersät mit hervorquellenden Adern und Narben, die von einem harten Leben zeugten. Er hatte ein rundes

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