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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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nicht beleidigt, weil du sie um das Trinkgeld geprellt hast«, bemerkte Jean, als sie draußen auf der Straße standen. Locke spähte in jede Richtung, und Jean folgte seinem Beispiel. Das Gewicht der in seinen Rockärmeln versteckten Stilette beruhigte Locke ein wenig, und er hegte nicht den geringsten Zweifel, dass Jean notfalls im Handumdrehen die Bösen Schwestern zücken konnte.
    »Oh Götter«, murmelte Locke. »Wir sollten in unseren Betten liegen und den Tag verschlafen. Noch nie zuvor hat jemand so drastisch in unseren Lebensstil eingegriffen, und ich kann mich nicht erinnern, dass wir jemals derart von anderen Leuten abhängig waren wie jetzt. Vor dem Archonten und seinen Giften können wir nicht weglaufen, und das heißt, dass wir den Coup mit dem Sündenturm auf Biegen und Brechen durchziehen müssen. Hinter jeder Ecke können die Soldmagier lauern, und ganz plötzlich kommen auch noch Meuchelmörder aus unseren Arschlöchern gekrochen.
    Weißt du was, Jean? Ich möchte wetten, dass wir uns zu einer Haupterwerbsquelle dieser Stadt entwickelt haben, nachdem so viele Leute uns beschatten oder jagen. Tal Verrars gesamte Scheißökonomie basiert nun auf uns!«
    Es war ein kurzer Marsch, wenn auch ein nervenaufreibender, bis zur Straßenkreuzung nördlich der Goldenen Klause. Frachtkarren rumpelten über das Kopfsteinpflaster, und Geschäftsleute spazierten gemütlich zu ihren Läden. Nach Lockes Wissen galt die Savrola als das ruhigste, am besten bewachte Viertel der Stadt, eine Gegend, in der höchstens mal ein betrunkener Ausländer den Frieden störte.
    An der Kreuzung bogen Locke und Jean nach links ab, dann näherten sie sich der Tür des ersten leer stehenden Geschäfts zur Rechten. Während Jean die Straße hinter ihnen im Auge behielt, ging Locke zur Tür und klopfte dreimal. Sie schwang unverzüglich auf, und ein stämmiger junger Mann in einem braunen Lederrock winkte sie herein.
    »Halten Sie sich vom Fenster fern«, riet er ihnen, sowie er die Tür wieder geschlossen und verriegelt hatte. Vor dem Fenster hingen zugezogene Vorhänge aus Segeltuch, doch Locke fand ebenfalls, dass man das Schicksal nicht herausfordern sollte. Der Raum wurde lediglich durch das Licht der aufgehenden Sonne erhellt, das blassrosa durch die Vorhänge schimmerte und es Locke ermöglichte, hinten im Laden vier Männer zu sehen, die paarweise zusammenstanden. Jedes Paar bestand aus einem massigen, breitschultrigen Kerl und einem schmächtigeren Burschen, und sie alle trugen die gleichen grauen Mäntel und breitkrempigen grauen Hüte.
    »Anziehen«, befahl der Mann in der Lederjacke und zeigte auf einen kleinen Tisch, auf dem haufenweise Kleidung lag. Bald trugen auch Locke diese grauen Mäntel und Hüte.
    »Ist das die neue Sommermode in Tal Verrar?«, spottete Locke.
    »Diese Maskerade dient dazu, etwaige Beschatter zu verwirren«, erklärte der Mann. Er schnippte mit den Fingern, und ein Duo der graugekleideten Fremden stellte sich direkt vor die Tür. »Ich gehe zuerst raus. Ihr haltet euch dicht hinter diesen beiden Männern hier, folgt ihnen nach draußen und steigt dann in die dritte Kutsche. Verstanden?«
    »Was für eine Kut …«, setzte Locke an, doch er verstummte schlagartig, als er auf der Straße Hufgetrappel und das Rattern von Rädern hörte. Am Fenster zogen Schatten vorbei, und nach ein paar Sekunden entriegelte der Mann im braunen Rock die Tür. »Dritte Kutsche. Beeilung«, zischte er, ohne sich umzudrehen, riss die Tür auf und stürmte auf die Straße.
    Am Straßenrand vor dem leer stehenden Geschäft standen drei identische Kutschen in einer Reihe. Weder Wappen noch sonstige Erkennungsmerkmale zierten die Kutschkästen aus schwarz lackiertem Holz, die Fenster waren mit schweren Vorhängen verdeckt, und je zwei Rappen zogen die Wagen. Selbst die Kutscher sahen ungefähr gleich aus mit ihren rötlichen Uniformen und Lederumhängen.
    Das erste graugekleidete Paar trat durch die Tür und rannte zu der Kutsche, welche die Reihe anführte. Eine Sekunde darauf verließen Locke und Jean den Laden und hetzten zum letzten Fuhrwerk. Aus dem Augenwinkel erhaschte Locke einen Blick auf das letzte graue Duo, das hinter ihnen auf die mittlere Kutsche zu rannte. Jean öffnete den Wagenschlag, hielt ihn für Locke auf und schmiss sich hinter ihm hinein. »Willkommen an Bord, die Herren.« Merrain saß in entspannter Haltung in der rechten vorderen Ecke des Kutschkastens, nun jedoch ohne Kellnerinnenkluft. Sie trug

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