Sturm ueber roten Wassern
jetzt Reitkleidung – Schaftstiefel, schwarze Kniehosen, ein rotes Seidenhemd und eine Lederweste. Locke und Jean nahmen auf der gegenüberliegenden Bank Platz. Nachdem Jean den Wagenschlag zugeknallt hatte, lag das Innere der Kabine im Halbdunkel, und mit einem jähen Ruck setzte sich die Kutsche in Bewegung. »Wohin zur Hölle fahren wir?« Noch während Locke sprach, fing er an, sich seines grauen Mantels zu entledigen.
»Behalten Sie den Mantel an, Meister Kosta. Sie werden ihn beim Aussteigen brauchen. Zuerst kutschieren wir ein bisschen durch die Savrola. Danach teilen wir uns auf – eine Kutsche fährt zur Goldenen Treppe, die andere zum Nordrand der Großen Galerie, und wir begeben uns in den Hafen und steigen um in ein Boot.« »Und wohin bringt uns das Boot?«
»Seien Sie nicht so ungeduldig. Lehnen Sie sich zurück und genießen Sie die Fahrt.« Das war, gelinde gesagt, gar nicht so einfach in der heißen und stickigen Kabine. Locke spürte, wie ihm der Schweiß die Stirn hinunterrann; gereizt nahm er seinen Hut ab und legte ihn sich auf den Schoß. Er und Jean versuchten, Merrain mit Fragen zu bombardieren, doch sie antwortete nur mit nichtssagenden »Hmmms«, bis sie es aufgaben. Die Zeit schien stillzustehen. Locke merkte, wie die Kutsche schwankend um mehrere Ecken rumpelte und dann eine Reihe von Schrägen hinabrollte; er vermutete stark, dass es sich dabei um die Rampe handelte, die von der Spitze der Savrola zum Hafen hinunterführte.
»Wir sind gleich da«, verkündete Merrain, nachdem sie eine geraume Weile in unbehaglichem Schweigen dagesessen und sich von der holperigen Kutsche hatten durchrütteln lassen. »Setzen Sie die Hüte wieder auf. Wenn die Kutsche anhält, laufen Sie sofort zum Boot. Nehmen Sie die Plätze im Heck ein, und um der Liebe der Götter willen – ducken Sie sich, sobald Sie glauben, es sei Gefahr in Verzug.« Wenig später kam das Fuhrwerk rasselnd zum Stehen. Locke stülpte sich den Hut über den Haarschopf, tastete nach dem Türgriff, und als der Schlag aufging, musste er gegen das grelle Morgenlicht anblinzeln. »Raus!«, zischte Merrain. »Nicht trödeln.«
Sie befanden sich im Innenhafen an der Nordostspitze der Savrola, im Rücken eine jäh aufragende glatte Wand aus schwarzem Elderglas, vor sich ein paar Dutzend Schiffe, die im glänzenden, kabbeligen Wasser ankerten. Ein Boot war am nächstgelegenen Pier festgemacht, eine schnittige, ungefähr vierzig Fuß lange Gig mit einer erhöhten und geschlossenen Achtergalerie. Zwei Reihen von Rudergasten, fünf an jeder Seite, beanspruchten den größten Teil des übrigen Raums.
Locke sprang aus der Kutsche und eilte voraus zum Boot, vorbei an zwei Bewachern, die ähnlich dicke Mäntel trugen wie er selbst, eine Kleidung, die für das herrschende Wetter völlig ungeeignet war. Sie standen fast in Habtachtstellung da, und Locke sah einen Schwertgriff, der von dem Mantel kaum verdeckt wurde.
Er wieselte die leichte Rampe hoch, die zum Boot führte, hüpfte in die Gig hinein und warf sich auf die Heckbank der Passagiergalerie. Zum Glück war die Galerie nur an drei Seiten geschlossen; auf ihrer nächsten kleinen Reise bevorzugte er einen freien Blick nach vorn, denn er hatte keine Lust, noch einen Ausflug in einem dunklen, muffigen Kasten zu unternehmen. Jean blieb dicht hinter ihm, doch Merrain wandte sich nach rechts, kletterte durch die Gruppe der Rudergasten und setzte sich im Bug auf den Platz des Steuermanns.
Am Pier zogen die Soldaten hastig die Rampe ein, machten die Gig los und stießen sie mit den Beinen kräftig vom Anleger ab. »Klar bei Riemen! Rudert an!«, befahl Merrain, und die Rudergasten legten sich mächtig ins Zeug. Bald knarrte das Boot im steten Rhythmus der Ruderbewegungen und schoss durch die kleinen Wellen von Tal Verrars Hafen.
Locke nutzte die Gelegenheit, um die Männer und Frauen an den Riemen zu beobachten – sie waren samt und sonders schlank, aber muskulös, trugen das Haar adrett kurz getrimmt, die meisten hatten gut sichtbare Narben. Keiner dieser Rudergasten schien jünger als Mitte dreißig zu sein. Vermutlich handelte es sich um Veteranen; möglicherweise gehörten sie sogar zu den Allsehenden Augen und hatten nur auf die Masken und Mäntel verzichtet.
»Ich muss schon sagen, Stragos’ Leute sind unerhört tüchtig«, meinte Jean. Dann hob er die Stimme. »Hey! Merrain! Können wir jetzt diese lächerlichen Klamotten ausziehen?«
Sie drehte sich nur kurz um, um zu nicken, dann
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