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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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Wucht von Bleikugeln gegen Lockes Ölzeug prasselte. Der Regen schien erst von der einen, dann von der anderen Seite zu kommen, niemals direkt von oben, während die Roter Kurier sich stampfend und schlingernd in den grauen Händen des Sturms wand.
    »Meister Valora!« Locke klammerte sich an den Haltetauen fest, die um den Hauptmast sowie über das gesamte Deck gespannt waren, und brüllte durch die Luke im Hauptdeck: »Wie hoch steht das Wasser in der Bilge?«
    Kurz darauf schrie Jean die Antwort: »Zwei Fuß hoch!«
    »Sehr gut, Meister Valora!«
    Locke erhaschte einen Blick auf den Kahlen Mazucca, der ihn mit einer seltsamen Miene anstarrte, und ihn beschlich ein mulmiges Gefühl. Er wusste, dass Caldris’ plötzlicher Tod am Tag zuvor von der Mannschaft als ein böses Omen aufgefasst wurde; in aller Offenheit murmelten die Männer Bemerkungen über Frauen und Katzen, und ihr ganzer Unmut richtete sich gegen Orrin Ravelle, dessen Status als Kapitän und Befreier arg ins Wanken geriet. Locke wandte sich an den Rudergänger, der wieder mit halb zusammengekniffenen Augen nach vorn in den peitschenden Regen spähte, allem Anschein nach völlig beschäftigt mit der Aufgabe, das Schiff zu steuern.
    Zwei Matrosen in Ölzeug standen am zweiten Steuerrad; bei so schwerer See konnte das Schiff leicht aus dem Ruder laufen, wenn nur ein einzelner Mann in die Speichen griff. Die Gesichter der Männer waren unter den Kapuzen bloß als Schatten zu erkennen; auch sie hatten für Locke kein freundliches Wort übrig.
    Der Wind kreischte in den Tauen und Rahen, an denen die meisten Segel fest beschlagen waren. Lediglich durch die Zugkraft der dicht gerefften Marssegel jagten sie ungefähr in Richtung Südwest. Die Kurier krängte so weit nach steuerbord, dass Mazucca und seinen Gehilfen das Letzte abverlangt wurde. Die donnernden Brecher überspülten das Deck, und es kostete die Rudergänger höchste Konzentration, um das Schiff auf Kurs zu halten. Dazu türmten sich immer höhere Wellen auf.
    Ein Schwall graugrünen Wassers schwappte über Lockes bloße Füße, und er sog tief den Atem ein; er hatte seine Stiefel ausgezogen, weil er sich barfuß einen besseren Halt auf den Planken verschaffen konnte. Locke beobachtete, wie die Sturzseen über das Deck krachten und sich in einem wogenden Schwall sammelten, ehe sie gurgelnd durch die Speigatten über Bord strömten oder an den Rändern der Planen abliefen, die man unter die Grätings gelegt hatte, mit denen sämtliche Luken und Niedergänge gesichert worden waren. Eigentlich war das Wasser warm, aber hier im Herzen des Sturms, ohne Sonne und bei einem peitschenden Wind, der die Luft wie mit Messern durchschnitt, bildete Locke sich ein, es sei bitterkalt.
    »Käpt’n Ravelle!«
    Jabril kämpfte sich längs der Backbordreling auf ihn zu, die Sturmlaterne in der nachtschwarzen Hand. »Es wäre ratsam gewesen, die verdammten Bramstengen schon vor Stunden runterzuholen!«, brüllte er.
    Seit Locke an diesem Morgen aufgestanden war, hatte Jabril ihm mindestens ein Dutzend Mal unaufgefordert Ratschläge erteilt oder ihn mit Vorwürfen traktiert. Locke starrte hinauf zu den oberen Verlängerungen des Groß- und des Fockmastes, die in den wirbelnden Dunstschleiern kaum zu sehen waren. »Es kam mir in den Sinn, Jabril, aber ich hielt es nicht für notwendig.« Locke hatte gelesen, dass die Bramstengen selbst ohne aufgetuchte Segel bei starkem Wind eine unerwünschte Hebelwirkung entwickelten und sogar abbrechen konnten, wenn das Schiff stampfte und schlingerte.
    Aber er war viel zu beschäftigt gewesen, um daran zu denken, die Bramstengen entfernen zu lassen.
    »Wie notwendig es ist, wird man ja sehen, wenn sie runterkommen und den größten Teil der Takelage mitreißen!«
    »Ich werd’s mir noch mal überlegen, Jabril, vielleicht lasse ich sie ja herunterholen!«
    »Sie wollen es sich überlegen?« Jabril glotzte ihn entgeistert an. »Haben Sie den Verstand verloren, Ravelle? Der richtige Zeitpunkt, um die Scheißdinger abzuschlagen, war vor ein paar Stunden; jetzt werden alle Deckshände anderswo dringend gebraucht, und es bläst immer heftiger! Wir versuchen erst wieder, die Bramstengen herunterzuholen, wenn das Schiff in Gefahr ist … und das kann schon sehr bald sein, leck mich doch am Arsch! Sind Sie früher noch nie so weit über das Messing-Meer gesegelt, Käpt’n?«
    »Aye, selbstverständlich kenne ich diese Gewässer!« Locke schwitzte in seinem Ölzeug. Hätte er gewusst,

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