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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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über Lockes Seekiste. So karg die Ausstattung auch sein mochte, sie war geradezu feudal verglichen mit den Kammern, in die Jean und Caldris sich quetschen mussten, oder der erbärmlichen Unterbringung der Matrosen; wenn die Männer sich ausruhen oder schlafen wollten, verkrochen sie sich zwischen der Fracht oder legten sich auf Segeltuchmatten, die sie auf dem Hauptdeck ausbreiteten.
    »Tut mir leid, dass ich die Katzen vergessen habe«, murmelte Locke.
    »Ich hätte auch dran denken können«, meinte Jean. Doch eine Tatsache blieb unausgesprochen; Jean hatte sich so sehr auf Locke verlassen, dass er es nicht für nötig befunden hatte, sich selbst um die Kätzchen zu kümmern. Gerade weil Jean Locke keine Vorwürfe machte, nagte das schlechte Gewissen umso stärker an ihm.
    »Dich trifft keine Schuld«, erwiderte Locke und nippte an seinem warmen Bier. »Ich bin der Kapitän dieses verdammten Schiffs.«
    »Hör auf mit dem großmütigen Gequatsche.« Jean kratzte sich am Bauch, der durch seine körperlichen Aktivitäten in letzter Zeit dramatisch an Umfang verloren hatte.
    »Wir lassen uns was einfallen. Zur Hölle, wenn der Sturm erst einmal losbricht, haben die Männer gar keine Zeit mehr, an was anderes zu denken, als wann und wie stark sie sich in die Hosen pissen dürfen.«
    »Hmmm. Sturm. Eine gute Gelegenheit für uns beide, uns vor der Mannschaft wie Idioten aufzuführen. Wahrscheinlich bin eher ich derjenige, der sich blamiert, als du.«
    »Hör auf mit dieser fruchtlosen Grübelei.« Jean grinste. »Caldris weiß, was er tut.
    Irgendwie wird er die Situation schon deichseln.«
    Plötzlich erklang ein lautes Klopfen an der Kajütentür. Locke und Jean sprangen gleichzeitig von ihren Stühlen auf, und Locke flitzte zu seinen Waffen.
    »Was ist los?«, brüllte Jean.
    »Kosta«, rief eine dünne Stimme, gefolgt von einem schwachen Rappeln, als versuche jemand vergeblich, den Riegel zu öffnen.
    Gerade hatte Locke sich seinen Schwertgurt umgeschnallt, da riss Jean die Tür auf. Am Fuß des Niedergangs stand Caldris, er wankte und klammerte sich Halt suchend an den Türrahmen. Im gelben Schein von Lockes Kajütenlampe bot sich ihnen ein erschreckendes Bild; Caldris’ Augen waren blutunterlaufen, der Blick unstet, sein Mund stand offen, und auf der wächsernen Haut glänzte ein Schweißfilm.
    »Hilfe, Kosta«, flüsterte er; sein Atem ging so pfeifend, dass allein das Zuhören wehtat.
    Jean packte ihn und hielt ihn fest. »Verdammt«, raunte er Locke zu. »Er ist nicht nur erschöpft, Leo – Käpt’n. Er braucht einen Arzt.«
    »Helfen Sie mir … Kosta«, stöhnte der Segelmeister. Seine rechte Hand krallte sich in seinen linken Oberarm, dann presste er sie an die Herzgegend. Er kniff die Augen zusammen und krümmte sich vornüber.
    »Ich soll Ihnen helfen?« Locke legte eine Hand unter Calris’ Kinn; der Puls raste und war unregelmäßig. »Sagen Sie mir, was ich tun soll. Geht es um das Schiff?«
    »Nein.« Vor Anstrengung verzerrte Caldris das Gesicht. Nach jedem Wort, das er krampfhaft hervorstieß, musste er Atem schöpfen. »Ich … brauche … Hilfe …« »Wir legen ihn auf den Tisch«, schlug Jean vor, und gemeinsam drückten sie den Segelmeister auf den Rücken.
    »Große Götter!«, hauchte Locke. »Ist es das Gift? Ich fühle mich wie immer.«
    »Ich merke auch nichts«, erklärte Jean. »Ich glaube … ich glaube … sein Herz macht schlapp. Ich habe so was schon mal gesehen. Mist! Er braucht jetzt Ruhe. Vielleicht sollten wir ihm etwas zu trinken geben …«
    Doch Caldris stöhnte wieder, grub kraftlos seine Finger in die linke Brusthälfte und erschauerte. Seine Hände fielen schlaff herab. Ein langer, erstickter Atemzug löste sich aus seiner Kehle, und mit wachsendem Entsetzen betastete Locke seinen Hals.
    »Er hat keinen Puls mehr«, flüsterte er.
    Ein leises Trommeln auf dem Kajütendach, zuerst sachte, dann immer heftiger werdend, verriet ihnen, dass die ersten Regentropfen das Schiff einholten. Caldris’ Augen, die an die Decke starrten, waren so leblos wie Glas.
    »Oh, Scheiße!«, ächzte Jean.

ZWEITES BUCH
     
    TRÜMPFE IM ÄRMEL
     
    »Glücksspieler spielen, wie ein Liebespaar sich liebt und wie Trunksüchtige trinken -blind und zwanghaft, beherrscht von einer Macht, der sie nicht zu widerstehen vermögen.«
    J ACQUES A NATOLE T HIBAULT
     

Kapitel Acht
    Das Ende des Sommers
1
     
     
    Schwarzes Wasser vor dem Bug, Wasser an den Bordwänden, Wasser in der Luft, das mit der

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