Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
Vom Netzwerk:
gedreht«, flüsterte er.
    »Was ist?«, murmelten Jean und Jabril gleichzeitig.
    »Nichts.«
    Doch bald gewannen die alten Instinkte eines Wildfeuer-Waisen wieder die Oberhand.
    Locke legte den Kopf in die linke Armbeuge und schloss die Augen. Kurz darauf verblassten der Lärm, die Hitze, das Gewusel der Männer und Frauen um ihn herum und die tausend anderen Geräusche dieses fremden Schiffs zu einem vagen Hintergrundrauschen, das seinen leichten, aber ruhigen Schlaf begleitete.
     

Kapitel Zehn
    Alle Seelen in Gefahr
1
     
     
    Am siebzehnten Tag des Monats Festal war Jean so weit, dass er den Anblick und den Geruch des Essigs auf dem Schiff so fürchtete, wie er den Anblick des Leutnants liebte. Seine Morgenarbeit bestand meistens darin, einen Eimer mit dem fauligen roten Zeug und einen anderen mit Meerwasser zu füllen und das gesamte Hauptdeck inklusive Schotts damit abzuschrubben, so weit der Stiel des Mopps reichte. Vorne und achtern befanden sich zwei langgezogene Räume, die Mannschaftskajüten, von denen eine immer gerammelt voll war; mindestens vier bis fünf Dutzend Matrosen lagen dort dicht an dicht in den Hängematten oder hockten sonst wo herum, und die verschiedenen Schnarchtöne klangen wie das Grollen gefangener Bestien. Um dieses Quartier machte Jean tunlichst einen großen Bogen; stattdessen wischte er Stauräume aus, die von der Mannschaft »Bruchgefahrkammern« genannt wurden, weil man dort in mit Netzen bedeckten Fächern Unmengen von Flaschen aufbewahrte. Er putzte die Last auf dem Hauptdeck, die Waffenkammer und das leere Mannschaftsquartier -doch selbst wenn sich dort niemand aufhielt, fand er ein Durcheinander an Fässern, Kisten und Netzen vor, das er zuerst mühsam aufräumen musste.
    Sowie sich der Gestank des verdünnten Essigs mit den üblichen Ausdünstungen unter Deck, die von verdorbenen Lebensmitteln, schlechtem Fusel und ungewaschenen Sachen stammten, vermischt hatte, stapfte Jean durch die beiden niedrigsten Decks, das Orlop und die Bilge. Dabei schwenkte er eine große, gelbe, alchemische Lampe, um die krank machenden Stoffe, die in der Luft schwebten, die sogenannten Miasmen, zu vertreiben.
    Drakasha achtete sehr auf die Gesundheit ihrer Mannschaft; die meisten Matrosen trugen Kupferringe in den Ohrläppchen, um den grauen Star abzuwehren, und schütteten ein wenig weißen Sand in ihr Bier, was verhindern sollte, dass ihre Bäuche platzten. Die unteren Decks wurden mindestens zweimal am Tag mit dem alchemischen Licht ausgeleuchtet, sehr zum Vergnügen der Schiffskatzen. Leider bedeutete dies, dass man über alle möglichen Hindernisse, einschließlich hektisch arbeitender Seeleute, klettern und kriechen musste; wenn es nicht anders ging, zwängte man sich in quälender Enge an ihnen vorbei oder schubste sie aus dem Weg, vorausgesetzt, dass dazu ausnahmsweise einmal der Platz reichte. Diese Besatzung war pausenlos in Bewegung; auf diesem Schiff herrschte ständig Leben. Je länger Jean den Betrieb auf der Giftorchidee beobachtete, umso deutlicher wurde ihm bewusst, dass der Dienstplan, den er als Erster Maat auf der Roter Kurier festgesetzt hatte, hoffnungslos naiv gewesen war. Hätte Caldris nur ein bisschen länger gelebt, hätte er ihn mit Sicherheit darauf aufmerksam gemacht. Außerdem schien Kapitän Drakasha der Ansicht zu sein, dass ein Schiff auf See sich nie in einem optimalen Zustand befinden konnte. Was während einer Wache kontrolliert und inspiziert worden war, wurde in der darauf folgenden Wache abermals kontrolliert und inspiziert, und in der nächsten und übernächsten schon wieder, Tag für Tag. Was verstrebt war, wurde neu verstrebt, was es auszubessern gab, wurde ausgebessert. Die Pumpe und alles, was zum Ankerspill gehörte, wurden täglich mit Fett eingeschmiert, das man aus den Kochtöpfen kratzte; die Masten behandelte man von der Spitze bis zum Fuß mit demselben braunen Schleim, um sie vor dem Einfluss der Witterung zu schützen. Unentwegt wanderten Gruppen von aufmerksamen Matrosen über die Decks, begutachteten die Nähte zwischen den Planken oder wickelten Segeltuch um Teile der Takelage, wenn Taue aneinanderrieben und die Gefahr bestand, dass sie durchscheuerten.
    Die Mannschaft der Orchidee war in zwei Wachen eingeteilt, in die Rote und die Blaue. Sie arbeiteten in Sechs-Stunden-Schichten; eine Wache kümmerte sich um das Schiff, während die andere sich ausruhte. Die Rote Wache zum Beispiel hatte Dienst von Mittag bis zur sechsten Abendstunde

Weitere Kostenlose Bücher