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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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auf anderen Piratenschiffen gefahren sind. Wir haben die Lecks gesehen, die mit jedem Tag ein bisschen größer wurden. Gesehen, wie die Metallteile Rost ansetzen. Gesehen, wie die Takelage durchscheuerte. Was hat man davon, wenn man lasche Gewohnheiten einreißen lässt, und auf einmal fällt einem das Schiff unterm Hintern zusammen?« »Ihr seid also ein kluger Haufen.«
    »Richtig. Das Meer macht dich entweder weise, oder es bringt dich um. Drakashas Offiziere leisten einen Eid. Wir haben geschworen, dass dieses Schiff entweder in einem Gefecht untergeht oder durch den Willen der Götter. Aber nicht aufgrund von Versäumnissen, verrotteten Segeln oder mangelhaftem Tauwerk. So lautet unser heiliger Eid.« Sie streckte sich. »Und auch nicht, weil der Farbanstrich fehlt. Streich noch eine Schicht drüber, aber flott!«
    Offiziere. Jean beobachtete die Offiziere der Orchidee, während er arbeitete, um sich von Ezri abzulenken. Da war natürlich Drakasha. Sie war nicht Teil der regulären Wachen, tauchte aber dauernd irgendwo auf. Mindestens die Hälfte des Tages schien sie sich an Deck aufzuhalten, und wie durch Magie trat sie plötzlich überall da in Erscheinung, wo sich etwas Interessantes abspielte. Ezri, ihr Erster Maat … verflucht, er wollte doch nicht ständig an Ezri denken. Jedenfalls nicht jetzt. Mumchance, der Segelmeister, und seine kleine Crew aus zuverlässigen Rudergängern. Bei günstigem Wetter erlaubte Drakasha gelegentlich den gemeinen Matrosen, sich ans Steuer zu stellen, doch jedes Manöver, das Geschicklichkeit erforderte, wurde ausschließlich von Mum und seiner Gang ausgeführt. Fast auf gleicher Stufe mit Mum standen der Quartiermeister – der zurzeit der Prisencrew auf der Kurier angehörte – und die Schiffsärztin, Treganne, die sich selbst vermutlich nur mit jemandem auf einer Stufe sah, dem ein eigener Tempel gewidmet war. Selbstverständlich bewohnte Drakasha die große Kajüte, und die vier ranghöchsten Offiziere waren in kleinen Kammern im Niedergang untergebracht, Kabuffs mit Trennwänden aus Segeltuch, wie er sie von seinem eigenen Quartier auf der Kurier her kannte.
    Es gab einen Zimmermann, einen Segelmacher, einen Smutje und einen Bootsmann. Das einzige Privileg eines Maats schien darin zu bestehen, dass er das Recht hatte, die unter ihm stehenden Besatzungsmitglieder von Zeit zu Zeit herumzuschubsen. Außerdem gab es zwei … Unterleutnants, mutmaßte Jean. Ezri nannte sie ihre Wachführer, und sie vertraten Ezri, wenn sie nicht zur Stelle war. Utgar hatte die Blaue Wache unter sich, und eine Frau namens Nasreen führte die Rote an, doch Jean hatte Nasreen noch nicht gesehen, weil man ihr das Kommando über die Prisencrew der Kurier verliehen hatte.
    Es schien, als wolle man Jean – und dem Rest der Schrubberwache – durch das ständige Hin- und Hergescheuche die Gelegenheit geben, die an Bord herrschende Hierarchie sowie das Schiff selbst von Grund auf kennenzulernen. Jedenfalls vermutete er, dass diese Absicht dahintersteckte.
    Seit ihrer Kaperung hatte sich das Wetter gehalten. Von Nordost blies eine stetige Brise, Wolken kamen und lösten sich wieder auf wie die Gunst einer Tavernentänzerin, und endlose niedrige Wellen, die das Meer funkeln ließen wie einen Saphir mit einer Million Facetten, überzogen die See. Tagsüber verbreitete die Sonne eine unerträgliche Hitze, und des Nachts glaubten sie in ihrem Verschlag unter der Back zu ersticken, doch mittlerweile hatte sich Jean an seine Arbeit gewöhnt. Seine Haut war genauso braun wie die von Paolo und Cosetta.
    Auch Locke schien aus der Situation das Beste zu machen -von der Sonne verbrannt und mit Bart wirkte er zum ersten Mal in seinem Leben nicht bloß schmächtig, sondern hatte tatsächlich so etwas wie eine drahtige Figur. Weil er ein Leichtgewicht war und sich unklugerweise dazu hatte hinreißen lassen, mit seiner Gewandtheit zu prahlen, hatte man ihn zu der Aufgabe verdonnert, jeden Morgen, den die Götter werden ließen, die Masten mit Fett einzuschmieren.
    Nach jedem langen Tag erhielten sie zu reichlich später Stunde ihre Mahlzeiten; das Essen war zwar fade, aber die Portionen reichten, um selbst den hungrigsten Magen zu füllen. Mittlerweile erhielten sie, wie die Besatzung der Orchidee, eine volle Ration Alkohol. Jean hätte es niemals laut ausgesprochen, und auch sich selbst gegenüber gab er es nur ungern zu, doch er fand die Wende, die die Ereignisse genommen hatten, gar nicht mal so schlimm. Er

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