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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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ihn nervös beobachtete. Locke zögerte, dann deutete er auf Jabril und hielt ihm die Klinge entgegen.
    »Befreie dich jetzt, Bruder.«
    Jabril lächelte, nahm den Dolch und entledigte sich in Sekundenschnelle seiner Fesseln. Jean funkelte Locke zornig an, der die Augen schloss, um jeden weiteren Blickkontakt zu vermeiden, und stattdessen darauf lauschte, wie der Dolch durch die Gruppe weitergereicht wurde. »Befreie dich jetzt, Bruder«, murmelte ein Mann nach dem anderen. Und dann war es vorbei.
    »Befreit durch eure eigenen Hände, gehört ihr nun dem Bund der Gesetzlosen des Messing-Meers an«, verkündete Kapitän Drakasha, »und der Besatzung des Piratenschiffs Giftorchidee.«

2
     
     
    Selbst ein erfahrener, ausgefuchster Dieb findet Gelegenheiten, noch ein paar neue Tricks zu lernen, wenn er nur lange genug lebt. An diesem Tag hatte Locke sich Kenntnisse darüber angeeignet, wie man ein gekapertes Schiff fachgemäß ausplünderte.
    Locke beendete seinen letzten Rundgang unter Deck, ziemlich sicher, dass sich dort keine Matrosen der Eisvogel versteckten, und stampfte die Niedergangsleiter hinauf zum Achterdeck. Die Leichen der dort gefallenen Erlöser hatte man beiseite geräumt und an der Heckreling aufgestapelt; jene Toten, die Besatzungsmitglieder der Orchidee gewesen waren, lagen mittlerweile in der Kühl. Locke sah, wie ein paar Kameraden sie respektvoll mit Segeltuch zudeckten.
    Rasch nahm er das Schiff in Augenschein. Dreißig bis vierzig Piraten waren an Bord gekommen und kontrollierten das Schiff an allen Ecken und Enden. Jean und Delmastro hatten das Ruder übernommen. Die Piraten enterten die Wanten hoch, fuhrwerkten mit den Ankern herum und bewachten auf dem Vordeck die rund dreißig überlebenden Besatzungsmitglieder der Eisvogel. Unter Utgars Aufsicht hatte man die Verwundeten beider Seiten in die Kühl getragen und neben der Fallreepspforte an Backbord untergebracht, wo Käpt’n Drakasha und Magister Treganne gerade über die Seite stiegen. Locke ging eilig zu ihnen hinüber. »Mein Arm, Magister. Tut ganz furchtbar weh!« Mit seinem unversehrten Arm stützte Streva den verletzten, während er das Gesicht verzog und ihn Treganne zur Begutachtung hinhielt. »Ist wohl gebrochen.«
    »Natürlich ist er gebrochen, du Blödmann«, bestätigte sie ruppig und rauschte an ihm vorbei, um sich über einen Matrosen der Eisvogel zu beugen, dessen Tunika vollständig mit Blut durchtränkt war. »Wenn du weiter damit herumfuchtelst, wird er dir noch abfallen. Setz dich hin!«
    »Aber …«
    »Zuerst kümmere ich mich um die Schwerverletzten«, murmelte Treganne. Sich auf ihren Stock stützend, ließ sie sich neben dem verwundeten Mann langsam auf beide Knie nieder. Dann schraubte sie kurz an dem Stock herum. Der Griff ging ab und legte eine dolchartige Klinge frei, mit der Treganne die Tunika des Mannes aufschlitzte. »Ich kann dich auf meiner Liste ein paar Plätze weiter nach oben setzen, indem ich dir einige Male gegen den Kopf trete. Bestehst du immer noch auf einer raschen Behandlung?«
    »Äh … nein.«
    »Schön. Dann verpiss dich.«
    »Da bist du ja, Ravelle.« Käpt’n Drakasha schob sich an Treganne und den Verletzten vorbei und packte Locke bei der Schulter. »Du hast deine Sache sehr gut gemacht.«
    »Wirklich?«
    »Wenn es um das Führen eines Schiffs geht, bist du genauso nutzlos wie ein Arsch ohne Loch, aber mir kamen die tollsten Geschichten zu Ohren, wie hervorragend du gekämpft hast.«
    »Ihre Quellen übertreiben.«
    »Auf jeden Fall gehört das Schiff jetzt uns, und du hast uns den Kapitän ausgeliefert.
    Wir haben die Blume gepflückt, und nun müssen wir den Nektar schlürfen, ehe wir von schwerem Wetter oder einem anderen Schiff überrascht werden.«
    »Behalten Sie die Eisvogel als Prise?«
    »Nein. Es reicht, wenn eine Prisencrew unterwegs ist. Wir nehmen lediglich Wertgegenstände und nützliche Fracht mit.«
    »Wollen Sie das Schiff hinterher verbrennen oder etwas in der Art?«
    »Natürlich nicht. Wir lassen der Mannschaft gerade so viel Proviant und Material da, dass sie den nächsten Hafen anlaufen können und sehen ihnen hinterher, wie sie am Horizont davonsegeln. Was ist – du siehst verwirrt aus.«
    »Das bin ich auch, Käpt’n. Ich … ich hatte nicht mit so viel Menschlichkeit gerechnet.«
    »Du fragst dich, ob wir mit Leuten, die sich ergeben haben, aus purer Nächstenliebe so freundlich umgehen, oder ob mehr dahintersteckt, nicht wahr, Ravelle?« Drakasha grinste.

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