Sturm ueber roten Wassern
ist.«
»Natürlich nicht. Und ich kann einem Fisch beibringen, Feuer zu furzen«, höhnte Drakasha. »Ich gebe dir eine letzte Chance, und wenn du dich dann immer noch stur stellst, lasse ich die Verwundeten aus deiner Besatzung über Bord werfen.«
»Aber … bitte, man sagte mir …«
»Wer immer dir was gesagt hat – ich war es bestimmt nicht.«
»Ich … ich habe keine Ahnung …«
»Magister«, wandte sich Drakasha an die Bordärztin. »Kannst du den Mann retten, um den du dich da gerade kümmerst?«
»So schnell wird er nicht wieder tanzen«, erwiderte Treganne, »aber er wird überleben.«
Nun packte Drakasha Nera beim Kragen seiner Tunika. Sie machte zwei Schritte nach rechts und hieb ohne richtig hinzusehen dem toten Matrosen ihren Säbel in den Hals.
Treganne zuckte zurück und stieß dabei die Beine des Leichnams an, damit es aussah, als hätten sie sich bewegt. Nera schnappte nach Luft.
»Auf die Aussagen von Ärzten soll man sich eben nie verlassen«, kommentierte Drakasha kalt.
»Die Kasse befindet sich in meiner Kajüte«, keuchte Nera. »In einem Geheimfach neben dem Kompass über meinem Bett. Bitte … bitte töten Sie kein weiteres Besatzungsmitglied …«
»Ich habe diesen Mann nicht umgebracht«, erklärte Drakasha. Sie zog ihren Säbel aus dem Hals des Mannes, wischte ihn an Neras Hose ab und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Vor ein paar Minuten erlag er seinen Verletzungen. Meine Ärztin sagt, die anderen Verwundeten deiner Mannschaft bringt sie durch.«
Sie drehte Nera herum, durchschnitt das Seil, mit dem seine Hände gebunden waren, und schob den verdatterten Mann grinsend zu Locke. »Bring ihn zu seinen Leuten zurück, Ravelle, und dann sei so freundlich und räume das Geheimfach leer.«
»Zu Befehl, Käpt’n.«
Danach nahmen sie die Eisvogel schneller auseinander, als Jungvermählte sich im ersten Moment ihres Alleinseins ihrer Kleidung entledigen. Lockes Müdigkeit schwand, als er sich in die Aufgabe vertiefte, den größten Diebstahl seines Lebens zu begehen; er hatte noch nie so viel an schierer Masse auf einen Satz geklaut. Im Zuge seiner Pflichten arbeitete er mit verschiedenen Gruppen der Mannschaft zusammen, die mit unverstellter Begeisterung scherzten und herumalberten, bei ihrer Arbeit jedoch eine unglaubliche Flinkheit und Präzision an den Tag legten. Zuerst bemächtigten sie sich sämtlicher tragbaren und wertvollen Güter -Weinflaschen aus Meister Neras persönlichem Vorrat, Säcke voller Kaffee und Tee aus der Kombüse und ein paar Armbrüste aus dem winzigen Waffenschapp der Eisvogel. Drakasha inspizierte selbst die Sammlung an Navigationsinstrumenten und Stundengläsern und ließ Nera nur das Minimum an Geräten zurück, das er brauchte, um sein Schiff sicher in den nächsten Hafen zu bringen.
Danach durchkämmten Utgar und der Bootsmann die Fleute vom Bug bis zum Heck, die Überlebenden der Schrubberwache als Kulis benutzend, die allerlei nützliches nautisches Material mitschleppten: alchemische Stoffe zum Kalfatern, gutes Segeltuch, Zimmermannswerkzeuge, Fässer voller Pech und massenhaft neues Tauwerk. »Ganz ordentliches Zeug, was?«, freute sich Utgar, als er Locke Seile mit einem Gesamtgewicht von mindestens fünfzig Pfund und eine Kiste voller Metallfeilen auflud. »In Port Prodigal müsste man dafür ganz schön berappen. Am billigsten kommt man eben doch weg, wenn man sich das verschafft, was wir den ›Längsseits-Rabatt‹ nennen.«
Zu guter Letzt kam die Fracht der Eisvogel an die Reihe. Sämtliche Oberdeck-Grätings wurden angehoben und zwischen den beiden Schiffen ein unglaublich kompliziertes Netzwerk aus Tauen und Flaschenzügen aufgeriggt. Um die Mittagsstunde beförderte man Kisten, Fässer und in Ölzeug gewickelte Bündel von der Eisvogel zur Orchidee. Die Prise war noch umfangreicher, als Nera gesagt hatte – Terpentin, geöltes Hexenholz, Seidenstoffe, Kisten mit erlesenem, gelbem Wein, die einzelnen Flaschen mit Schafsfellen abgepolstert, und fässerweise Gewürze. Die Luft war übersättigt mit den Aromen von Nelken, Muskatnuss und Ingwer; nachdem Locke ein paar Stunden an den Taljen gearbeitet hatte, war er von Kopf bis Fuß mit einer glitschigen bräunlichen Schicht bedeckt, die halb aus Schweiß, halb aus gemahlenem Zimt bestand. Zur fünften Nachmittagsstunde beendete Drakasha die zwangsweise Umverteilung der Reichtümer. Die Giftorchidee lag wesentlich tiefer im Wasser als noch ein paar Stunden zuvor, und
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