Sturm ueber roten Wassern
Netz voller Gefangener tauchte ins Wasser ein, und hartgesottene Kerle, die auf der Eisvogel mörderisch gekämpft hatten, fast ohne einen Laut von sich zu geben, fingen nun an zu quieken und zu kreischen. Während das Netz nach unten fiel, lockerte sich der Zug an den Rändern, und das verschaffte ihnen ein bisschen mehr Bewegungsfreiheit, als sie auf dem Wasser aufklatschten – oder genauer gesagt, als die seltsam nachgiebige Unterlage aus Netz und Segeltuch auf das Wasser prallte und sie dabei abfederte wie ein Kissen.
Ein paar Sekunden lang kullerten die schreienden und brüllenden Männer in einem wirren Durcheinander herum, bis sich die Kanten ihrer Falle in die Wellen absenkten und das warme, dunkle Wasser in einem Schwall über sie hereinbrach. Einen kurzen Moment lang verspürte Locke echte Panik -kein Wunder, denn die Knoten, mit denen seine Hand- und Fußfesseln gesichert waren, saßen verdammt stramm –, doch schon bald bogen sich die Ränder des Segels wieder nach oben, bis sie knapp über der Oberfläche des Ozeans aufragten. Das Wasser, in dem die Gefangenen immer noch zappelten, reichte Locke bis zur Taille, und nun bildete das Segeltuch eine Art geschütztes Becken, in dem die Männer stehen oder unbeholfen umhertappen konnten.
»Ist jemand verletzt?« Das war Jean; Locke sah, dass er sich direkt ihm gegenüber an den Rand des Netzes krallte. Zwischen ihnen strampelten und planschten ein halbes Dutzend Männer. Locke wurmte es, als er merkte, dass Jean keine Anstalten traf, sich zu ihm durchzukämpfen.
»Verflucht witzig das Ganze«, murmelte Streva, der sich mit einer Hand irgendwo festhielt. Sein anderer Arm war mit einer primitiven Schlinge vor seine Brust gebunden. Ein paar der Männer hatten gebrochene Knochen, und fast alle von ihnen waren mit Stichwunden und Prellungen übersät, aber kein einziger war wegen seiner Verletzungen von diesem Ritual ausgeschlossen worden.
»Euer Ehren!« Locke blickte hoch, als er Delmastros Stimme hörte. In einer Hand eine Laterne, starrte der Leutnant zu ihnen hinunter; das Netz trieb drei bis vier Fuß von der Bordwand der Orchidee entfernt im Wasser. »Euer Ehren, sie ertrinken nicht!«
»Was?« Drakasha tauchte neben Delmastro auf, die idiotische Perücke wieder auf dem Kopf, wo sie schiefer saß denn je. »Ihr unverschämten kleinen Schweinehunde! Wie könnt ihr es wagen, unsere Zeit zu verschwenden, indem ihr euch eurer Exekution widersetzt! Gerichtsdiener, hilf ihnen abzusaufen!«
»Aye, Euer Ehren, sofortige Hilfe beim Absaufen! Deckpumpen klarmachen!
Deckpumpen los!«
Zwei Matrosen stellten sich mit einem Segeltuchschlauch an die Reling. Locke wandte sich ab, als das warme Salzwasser in einem mächtigen Strahl auf sie herabschoss. Halb so schlimm, dachte er, bevor Sekunden später etwas Härteres als Wasser schmerzhaft gegen seinen Hinterkopf klatschte.
Locke merkte schnell, dass sie nun mit eingefettetem Werg bombardiert wurden.
Matrosen drängelten sich längs der Reling und schleuderten die Klumpen auf die im Netz gefangenen Männer, ein dichter Hagel aus Lumpen und Taustücken, die nach dem ranzigen Zeug stanken, mit denen er eine Zeit lang die Masten eingefettet hatte.
Der Angriff dauerte mehrere Minuten, bis Locke nicht mehr wusste, wo das Fett aufhörte und seine Kleidung anfing und das Wasser in ihrem kleinen Becken unter einer glitschigen Schicht Unrat verschwand.
»Es ist nicht zu fassen!«, heulte Delmastro. »Euer Ehren, sie sind immer noch da!«
»Was, sie sind nicht untergegangen?«
Abermals erschien Zamira an der Reling und nahm in feierlichem Ernst die Perücke ab. »Verflucht! Die See weigert sich, sie anzunehmen. Uns bleibt gar nichts anderes übrig, als sie wieder an Bord zu holen.«
Nach wenigen Augenblicken strafften sich die Leinen über ihnen, und das kleine Gefängnis aus Netz und Segeltuch hob sich aus dem Wasser. Keinen Moment zu früh, wie es schien -Locke erschauerte, als er spürte, wie etwas großes, kraftvolles den weichen Boden unter seinen Füßen streifte. Nur Sekunden später schaukelten sie – den Göttern sei Dank – über den Wellenkämmen und wurden unter Knarren der Blöcke und Taljen stetig nach oben gehievt.
Aber ihre Bestrafung war noch nicht zu Ende; als das Netz schließlich über der Reling hing, holte man sie nicht gleich an Deck, sondern ließ sie in der Dunkelheit baumeln.
»Löst die Drehtalje!«, befahl Delmastro. Locke erhaschte einen Blick auf eine zierliche Frau, die zu dem
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