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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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die um ihre Fracht erleichterte Fleute rollte heftig in der Dünung, ausgehöhlt wie ein Insektenpanzer, der jeden Moment aus den Kiefern einer Spinne zu fallen droht.
    An Bord der Eisvogel blieben die Trinkwasservorräte, das Salzfleisch, billiges Bier und der pissrosa Wein für die Rationen der Besatzung zurück. Man ließ sogar einige Kisten und Pakete mit wertvollen Gütern dort, die für Drakashas Geschmack entweder zu tief oder zu unpraktisch in der Last verstaut waren. Trotzdem hatten sie die Fleute gründlich ausgeplündert. Jeder Kaufmann zu Lande wäre froh gewesen, wenn man die Ladung seines Schiffs im Hafen mit einem derartigen Tempo gelöscht hätte.
    An der Heckreling der Eisvogel wurde eine kurze Zeremonie abgehalten; in ihrer Eigenschaft als Laienpriesterin des Gottes Iono segnete Zamira die Toten der beiden Schiffe. Dann warf man die Leichen über Bord, eingenäht in altes Segeltuch und beschwert mit den Waffen der Erlöser. Die Fanatiker selbst schmiss man ohne ein einziges Wort ins Wasser.
    »Das ist kein Mangel an Respekt«, erklärte Utgar, als Locke ihm diesbezüglich eine Bemerkung zuflüsterte. »Ihrer Religion zufolge werden sie im Augenblick ihres Todes von ihren eigenen Göttern gesegnet, mit allem, was dazugehört. Es macht nichts, wenn man diese Heiden einfach über Bord wirft. Das ist gut zu wissen, für den Fall, dass man noch einmal gezwungen wird, ein paar von ihnen zu töten, nicht wahr?«
    Endlich ging dieser lange Tag zu Ende; Meister Nera und seine Mannschaft durften an Bord der Fleute zurückkehren und waren wieder sich selbst überlassen. Unter den wachsamen Augen von Drakashas Bogenschützen, die auf den Rahnocken ihre halsbrecherischen Positionen bezogen hatten, dröselte man das Gewirr aus Tauen und Fendern auf, das die beiden Schiffe zusammengehalten hatte. Die Giftorchidee holte ihre Boote wieder ein und machte die Segel klar. Bereits wenige Minuten später machte sie sieben bis acht Knoten auf ihrem Kurs nach Südwesten, während die Eisvogel im Zustand völliger Auflösung ohne Fahrt auf den Wellen driftete. Den ganzen Tag lang hatte Locke Jean kaum zu Gesicht bekommen, und beide schienen sich tunlichst aus dem Weg gehen zu wollen. Mit demselben Enthusiasmus, mit dem Locke sich auf die körperliche Arbeit gestürzt hatte, hielt sich Jean auf dem Achterdeck bei Delmastro auf. Sie kamen erst wieder zusammen, als die Sonne unter die Kimm sank und man die Schrubberwache zusammentrieb, um sie für ihre Initiation zu fesseln.

3
     
     
    Sämtliche der Neueingeweihten und die Hälfte der alten Schiffsbesatzung waren auf der Fidelen Wache und hielten sich schadlos an den köstlichen Weinen aus dem Osten, die sie auf der Eisvogel erbeutet hatten. Locke erkannte einige der Etiketten und Jahrgänge. Ein edler Tropfen, der in Camorr mindestens zwanzig Kronen die Flasche gekostet hätte, wurde wie Bier heruntergekippt oder in die Haare der ausgelassen feiernden Männer und Frauen gegossen, mitunter sogar einfach auf die Decksplanken geschüttet. Die Alteingesessenen beiderlei Geschlechts vermischten sich nun hemmungslos mit den neuen Kameraden. Würfelspiele, Ringkämpfe und Singkreise bildeten sich spontan. Es wurde mehr oder weniger handfest miteinander geschäkert, Pärchen bildeten sich und sonderten sich ab. Seit mindestens einer Stunde war Jabril mit einer Matrosin unter Deck verschwunden.
    Locke hielt sich im Schatten der Steuerbordseite, direkt unterhalb des erhöhten Achterdecks, und beobachtete von dort aus das bunte Treiben. Die Steuerbordtreppe reichte nicht ganz bis an die Reling heran; eine schmächtige Person konnte sich bequem in die Lücke hineinzwängen. »Ravelle« hatte man einen herzlichen, wenn nicht gar triumphalen Empfang bereitet, als er eine Runde auf Deck drehte, doch nun, da er sich ein behagliches Versteck gesucht hatte, schien niemand ihn zu vermissen. In den Händen hielt er einen großen Lederbecher, randvoll mit einem blauen Wein, der sein Gewicht in Silber wert war; doch bis jetzt hatte er noch kein einziges Mal auch nur daran genippt.
    Hinter der großen Menge von lachenden, zechenden Seeleuten konnte Locke an der entgegengesetzten Reling Jean ausmachen. Dann sah er, wie sich eine sehr kleine Frau seinem Freund von hinten näherte und die Hände nach ihm ausstreckte. Locke wandte sich ab.
    Das Wasser rauschte vorbei, schwarzes Gelee, gekrönt von Kämmen aus leicht phosphoreszierendem Schaum. Mit hoher Geschwindigkeit zog die Orchidee durch die

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