Sturm ueber roten Wassern
Augenblicke, konnte sie sich vormachen, dass ihr Schiff gerade weder von einer Gefahr weg noch in eine Gefahr hineinsegelte, und dann war sie mehr Mutter als Kapitän, eine ganz normale Frau, die sich die Zeit nahm, sich mit den üblichen Belangen ihrer Kinder zu beschäftigen …
»Mami«, erklärte Paolo übergangslos, »ich will lernen, wie man mit einem Schwert kämpft.«
Zamira konnte nicht anders; sekundenlang starrte sie ihren Sohn sprachlos an, dann fing sie schallend an zu lachen. Die üblichen Belange von Kindern? Götter, kein Kind, das in ein solches Leben hineingeboren wurde, konnte auch nur annähernd so sein wie seine behüteten und verhätschelten Altersgenossen, die in geordneten Verhältnissen groß wurden.
»Schwert!«, brüllte Cosetta, der vielleicht künftige König des Reichs der Sieben Ströme. »Schwert! Schwert!«
4
»Ezri, ich …«
Er sah den Schlag kommen, aber es wäre ihm nicht im Traum eingefallen, sich dagegen zu wehren. Sie legte ihre ganze Kraft hinein, was schon etwas bedeutete, und Jean stiegen die Tränen in die Augen. »Warum hast du mir nichts gesagt?« »Was meinst du …«
Mittlerweile schluchzte sie, aber ihr nächster Hieb landete mit unverminderter Wucht auf seinem rechten Arm. »Au!«, knurrte er. »Was hast du? Was ist?« »Warum hast du mir nichts gesagt?«
Sie brüllte beinahe; er hob die Hände, um ihre Fäuste festzuhalten. Wenn sie ihm einen Schlag in die Rippen oder die Magengrube verpasste, hätte er noch stundenlang Schmerzen.
»Ezri, bitte. Was hätte ich dir sagen sollen?« Er kniete auf dem schmalen Stück Fußboden ihrer Kajüte und küsste ihre Fingerspitzen, während sie versuchte, ihm ihre Hände zu entreißen. Schließlich ließ er sie los und legte die Hände auf die Knie. »Ezri, wenn du mich schlagen musst, dann tue es ruhig, bei den Göttern. Wenn es dir hilft, werde ich mich nicht dagegen wehren. Aber verrate mir bitte, was du hast.« Sie ballte die Fäuste, und Jean wappnete sich für den nächsten Haken, doch dann sank sie ebenfalls auf die Knie und schlang die Arme um seinen Hals. Ihre warmen Tränen tropften auf seine Wangen.
»Wie konntest du es mir nur verschweigen?«, flüsterte sie. »Ich erzähle dir ja alles, was du wissen willst, aber zuerst …« »Das Gift, Jean.«
»Oh«, stöhnte er und ließ sich seitwärts gegen die hintere Wand der Kammer sinken. »Oh, Scheiße!«
»Du egoistischer Schuft, wieso hast du es vor mir verheimlicht?« »Drakasha hat dem Rat der Kapitäne von uns erzählt!« Jean fühlte sich wie betäubt. »Du warst dabei und hast alles gehört.«
»Von Drakasha, nicht von dir! Wie konntest du mir das antun?« »Ezri, bitte, das ist …«
»Auf diesem ganzen verdammten Ozean bist du das Einzige, was ich habe, Jean Tannen«, flüsterte sie, während sie ihn mit eisernem Griff umklammerte. »Dieses Schiff gehört mir nicht. Zur Hölle, mir gehört nicht mal diese Kajüte. Ich habe nirgendwo einen Schatz vergraben. Meine Familie und meinen Titel habe ich verloren. Und als ich dann endlich etwas fand, das mir alles ersetzen konnte …«
»Stellt es sich heraus, dass ich mit einem … schweren Makel behaftet bin.«
»Wir können etwas unternehmen«, meinte sie. »Es gibt doch Ärzte, Alchemisten …«
»Alles schon versucht, Ezri. Wir waren bei Alchemisten und bei Giftmischern. Wir brauchen das Gegenmittel von Stragos, oder eine Probe dieses Giftes, um daraus ein Gegengift machen zu lassen.«
»Und du hast es nicht für notwendig gehalten, mich zu informieren? Angenommen, du wärst …«
»Eines Nachts hier tot umgefallen? Ezri, du hast alle meine Narben gesehen, und du weißt, dass ich kein …«
»Das ist etwas völlig anderes«, betonte sie. »Gegen ein Gift kann man nicht einfach kämpfen.«
»Ezri, Ich kämpfe dagegen. Seit der Archont es mir eingeflößt hat, vergeht kein Tag, an dem ich nicht kämpfe. Leocanto und ich zählen nämlich die Tage, die vergehen, weißt du? In den ersten Wochen lag ich nachts wach und war mir sicher, ich könnte spüren, wie das Gift in mir wirkt …« Er schluckte und merkte, dass jetzt auch ihm die Tränen über die Wangen rollten. »Sieh doch, wenn ich hier bei dir bin, kann ich es vergessen.
In deiner Gegenwart kann ich es auf einmal nicht mehr fühlen. Es ist mir auch egal.
Das hier ist … wie eine andere Welt. Wie hätte ich es dir da erzählen können? Hätte ich mir diesen Trost versagen sollen?«
»Ich würde ihn am liebsten umbringen!«, zischte
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