Sturm ueber roten Wassern
Maaten, die irgendein Handwerk beherrschten, wie die Zimmerleute, die Segelmacher und so fort. Mumchance hörte von seinem Platz am Steuer aus zu, und Locke lauschte von der Treppe zum Achterdeck, wo er zusammen mit Jean und einem halben Dutzend Freiwächtern stand. Zwar hatte man sie nicht eigens dazu aufgefordert, sich die Ansprache des Kapitäns anzuhören, aber verboten hatte man es ihnen auch nicht. Es wäre auch sinnlos gewesen, denn Neuigkeiten verbreiten sich auf einem Schiff schneller als Feuer.
»Unser Ziel ist Tal Verrar«, verkündete Drakasha. »Wir wollen es unseren neuen Freunden Ravelle und Valora ermöglichen, dort an Land ein paar trickreiche Geschäfte zu erledigen.«
»Kopfgeld«, knurrte Mumchance schlicht.
»Er hat recht«, warf Gwillem ein. »Bitte um Vergebung, Käpt’n, aber wenn wir uns in den Gewässern vor Tal Verrar blicken lassen …«
»Sicher, falls die Giftorchidee dort vor Anker gehen würde, wäre ich eine Menge Geld wert. Aber wenn wir an meinem hübschen Schiff hier und da ein paar Veränderungen vornehmen, die Segel anders trimmen, die Hecklaternen gegen irgendwas Unauffälligeres austauschen, und ans Heck einen falschen Namen pinseln …«
»Wie sollen wir das Schiff denn nennen, Käpt’n?«, erkundigte sich ein Zimmermann.
»Mir gefällt Chimäre.«
»Klingt frech«, meinte Treganne. »Aber welchen Nutzen haben wir von diesen ›trickreichen Geschäften< Drakasha?«
»Darüber spreche ich erst, wenn die Sache vorbei ist«, entgegnete Zamira. »Doch wenn alles klappt, ist der Nutzen für uns gewaltig. Man könnte sagen, dass wir mit dem einhelligen Segen des Rates der Kapitäne nach Tal Verrar ziehen.«
»Und warum sind sie dann nicht hier und unterstützen uns?«, wollte Nasreen wissen.
»Weil es nur einen einzigen Kapitän gibt, der das durchziehen kann – und das bin ich.«
Drakasha vollführte einen übertrieben tiefen Knicks. »Und jetzt geht wieder an eure Arbeit oder zu eurer Entspannung zurück, je nachdem. Erzählt allen, was ich gesagt habe.«
Ein paar Minuten später stand Locke an der Backbordreling, allein mit seinen Gedanken, als Jean sich zu ihm gesellte. Das Meer und der Himmel hatten sich rings um die untergehende Sonne zu einem Bronzeton verfärbt, doch nach der klebrigen Luft im Geisterwind-Archipel war die warme Meeresbrise trotzdem erfrischend.
»Fühlst du dich irgendwie komisch?«, fragte Jean.
»Denkst du, ich hätte – oh, du meinst das Gift. Nein. Ich fühle mich weder besser noch schlechter, sondern wie immer. Aber sobald ich anfange, mir die Gedärme aus dem Leib zu kotzen, lasse ich dich benachrichtigen. Sofern du es überhaupt hörst, wenn jemand an diese Kajütentür klopft …«
»Oh, Götter. Jetzt fängst du auch noch damit an. Ezri hätte Gwillem beinahe über die Heckreling geworfen …«
»Nun ja, lass uns doch ehrlich sein – wer solche Geräusche hört, der muss zwangsläufig annehmen, das Schiff würde angegriffen …«
»Pass auf, sonst wirst du gleich das Opfer eines plötzlichen und unvorhergesehenen Unfalls …«
»… und zwar von einer Horde Jeremitischer Erlöser, die auf Schlachtrössern angaloppiert kommen. Wo nimmst du überhaupt diese Energie her?«
»Sie macht es mir leicht«, grinste Jean.
»Ah.«
»Sie hat mich gefragt, ob ich bleiben will«, fuhr Jean ernst fort, wobei er angestrengt auf seine Hände starrte.
»Auf diesem Schiff? Nachdem alles vorbei ist? Sofern wir dann noch leben?« Jean nickte. »Ich bin mir sicher, dass ihr Angebot dich mit eingeschlossen hat.« »Na klar«, entgegnete Locke, nicht ohne eine Spur von Sarkasmus. »Und was hast du geantwortet?«
»Ich schlug ihr vor … ich dachte, sie könnte vielleicht mit uns kommen.« »Du liebst sie.« Locke nickte zu seiner eigenen Bestätigung, ehe Jean etwas erwidern konnte. »Für dich ist es nicht nur Zeitvertreib, wenn du mit ihr zusammen bist. Du hast dich wirklich verliebt, nicht wahr?«
»Ja«, flüsterte Jean.
»Sie ist schon eine bemerkenswerte Frau«, meinte Locke. »Sie hat Witz und Temperament. Und sie hat eine Vorliebe dafür, die Leute mit vorgehaltenem Schwert um ihre Habe zu erleichtern, was meiner Ansicht nach eine Menge wert ist. Auf jeden Fall kannst du dich darauf verlassen, dass sie dir in einem Kampf Rückendeckung gibt …«
»Auf dich habe ich mich auch immer verlassen …«
»Wenn es zu einem Kampf kam, habe ich dir den Rücken gedeckt, ja, das stimmt. Aber bei ihr kannst du sicher sein, dass sie sich und dich
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