Sturm ueber roten Wassern
Sonne sitzen lassen?«
»Ungewöhnlich, auffallend, aber keine direkte Bedrohung für Tal Verrar«, flüsterte Locke. »Götter! Käpt’n Drakasha, es wäre mir eine Ehre, wenn Sie sich dazu herabließen, meinen bescheidenen Vorschlag aufzugreifen …«
7
Der Mount Azar war ruhig am Morgen des fünfundzwanzigsten Tags im Monat Aurim, und der Himmel über Salon Corbeau strahlte in einem intensiven Blau wie ein tiefer Fluss, ohne von der grauen Rauchfahne des alten Vulkans getrübt zu werden. An der Nordküste des Messing-Meers herrschte wieder ein milder Winter, in einem Klima, das verlässlicher war als eine Verrari-Maschine.
»Gerade kommt eine neue Welle«, meldete Zoran, der Anführer der Hafenwache.
»Aber das Meer ist doch ganz glatt.« Giatti, sein jüngerer Kamerad, starrte ernst über die Kaianlagen.
»Ich rede doch nicht vom Meer, du Blödmann. Eine neue Welle von Gästen trifft ein!
Adlige. Die besitzende und beherrschende Klasse.« Zoran rückte seinen olivgrünen Wappenrock zurecht und bürstete ihn mit den Fingern ab; er wünschte sich, er müsste nicht Lady Saljescas verdammten Filzhut tragen. Er ließ ihn größer aussehen, aber er schwitzte darunter, und der Schweiß rann ihm in die Augen.
Hinter den natürlichen Felswällen von Salon Corbeaus Hafen hatte sich soeben eine stattliche Brigg, ein Zweimaster mit einem Rumpf aus schwarzem Hexenholz, zu den beiden Lashani-Feluken gesellt, die in dem ruhigen Wasser ankerten. Von dem Neuankömmling stieß ein Langboot ab; vier oder fünf offenbar hochgestellte Persönlichkeiten ließen sich von einem Dutzend Rudergasten an Land bringen.
Als das Langboot am Kai anlegte, bückte sich Giatti und fing an, ein Tau von einem Poller zu lösen. Nachdem der Bug des Boots festgemacht war, trat Zoran vor, verbeugte sich und streckte die Hand nach der jungen Frau aus, die sich als Erste von ihrem Platz erhob.
»Willkommen in Salon Corbeau«, grüßte er. »Wie lautet Ihr Titel, und wie wünschen Sie angekündigt zu werden?«
Die kleinwüchsige junge Frau, die für eine Aristokratin ungewöhnlich muskulös war, lächelte geziert und nahm Zorans Hand. Sie trug eine waldgrüne Jacke über einer Anzahl von Rüschenröcken in der gleichen Farbe, die ihr kastanienrotes, lockiges Haar vorteilhaft zur Geltung brachte. Sie war jedoch weniger stark geschminkt und mit Schmuck behängt, als man hätte erwarten können. Eine arme Verwandte der Besitzer dieses Schiffs?
»Verzeihung, Madam, aber ich muss wissen, wen ich melden darf.« Sie betrat den Kai, und er ließ sie los. Zu seiner Überraschung hielt sie seine Hand fest, und mit einer fließenden Bewegung rückte sie dicht an ihn heran und presste ihm einen Dolch aus geschwärztem Stahl in die Leiste. Er schnappte nach Luft.
»Schwer bewaffnete Piraten, ein achtundneunzig Kopf starker Trupp«, zischte die Frau. »Wenn du schreist oder dich wehrst, bist du im Handumdrehen ein Eunuch.«
8
»Ganz ruhig bleiben«, befahl Delmastro, als Jean, Streva, Jabril und Konar der Riese auf den Kai sprangen, angeführt von Locke. »Wir sind doch alle gute Freunde hier.
Nur eine wohlhabende Familie, die euer hübsches kleines Dorf besucht. Eure Stadt.
Oder als was auch immer man dieses Gebilde bezeichnen kann.« Sie hielt ihr Messer zwischen sich und dem älteren Hafenwächter, sodass die Klinge aus einer Entfernung von ein paar Schritten nicht zu sehen war. Sie legte ihm einen Arm um die Schultern, als würden sie sich gut kennen, und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das den armen Burschen leichenblass werden ließ.
Langsam und vorsichtig betraten die übrigen Piraten den Kai. Mitten in der Gruppe befanden sich die Matrosen, die unter ihren Schichten aus eleganter Kleidung ein ganzes Arsenal an klirrenden Waffen trugen und sich bemühten, sich so zu bewegen, dass das Klappern und Rasseln nicht durch die Jacken und Röcke drang. Natürlich hätten die Hafenwächter es sofort gemerkt, wenn die Rudergasten Säbel und Beile an ihren Gürteln getragen hätten.
»Da wären wir«, stellte Locke fest.
»Sieht doch ganz nett aus«, meinte Jean.
»Der äußere Anschein ist verdammt trügerisch. Jetzt warten wir nur noch darauf, dass der Käpt’n den Stein ins Rollen bringt.«
9
»Entschuldigung … Entschuldigung, mein Herr …«
Zamira Drakasha, allein im kleinsten Boot der Orchidee, blickte zu dem gelangweilt aussehenden Wächter hinauf, der hinter dem üppig verzierten Schandeck der Yacht stand, die ihrem
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