Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
Vom Netzwerk:
muss, lassen wir die halbe Mannschaft die Masten auf entern.«
    »Fremdes Segel in Sicht!«, meldete der Fockmastausguck. Der Ruf wurde über Deck weitergegeben, und Rodanov rannte in den Bug, außerstande, sich zu beherrschen. In dieser Woche hatten sie den Ruf mindestens fünfzig Mal gehört, doch jedes neue Segel, das sie sichteten, konnte zu Drakashas Orchidee gehören.
    »Welche Peilung?«
    »Drei Strich an Steuerbord voraus!«
    »Ydrena!«, brüllte Rodanov. »Mehr Tuch setzen! Wir halten drauf zu! Rudergänger!
    Kurs Nordnordost, auf den anderen Bug gehen!«
    Was auch immer sie gesichtet hatten, in diesem Wind und bei dieser See war die Tyrann in ihrem Element; mit ihrer Größe und ihrem Gewicht konnte sie sich durch Wellen pflügen, die einem leichteren Schiff die Geschwindigkeit genommen hätten.
    Bald würden sie das fremde Schiff erreichen.
    Trotzdem schienen sich die Minuten endlos in die Länge zu ziehen. Sie drehten auf ihren neuen Kurs, der Wind, der jetzt genau von achtern einkam, füllte die Segel, und die Tyrann stürmte nur so über die Wogen. Rodanov pirschte auf dem Vordeck hin und her, wie ein Tier auf der Lauer …
    »Es ist ein Zweimaster, Käpt’n! Wiederhole, ein Zweimaster!«
    »Ausgezeichnet!«, donnerte er. »Ydrena! Erster Maat auf das Vordeck!«
    Im Nu war sie da, mit in der Brise wehenden weißblonden Haaren. Als sie vor Rodanov trat, kippte sie den Rest ihres Morgentees runter.
    »Nimm mein bestes Fernrohr, und entere in den Fockmast auf«, befahl er. »Gib mir Bescheid … sowie du Gewissheit hast.«
    »Aye«, erwiderte sie. »Wenigstens gibt es was zu tun.«
    Der Morgen schlich mit quälender Langsamkeit dahin, doch zumindest blieb der Himmel wolkenlos. Ideale Sichtbedingungen. Die Sonne kletterte höher und nahm an Helligkeit zu, und dann …
    »Käpt’n!«, schrie Ydrena. »Der Rumpf ist aus Hexenholz! Das ist eine zweimastige Brigg mit einem Hexenholzrumpf!«
    Er hielt die Warterei nicht länger aus. »Ich komme selbst rauf!«, brüllte er.
    Mühsam kletterte er die Fockmastwanten hoch zur Ausgucksplattform an der Mastspitze; schon seit Jahren überließ er es den schlankeren, jüngeren Seeleuten, von hier oben aus das Meer zu beobachten.
    Ydrena hockte auf der Plattform, zusammen mit einem Matrosen, der zur Seite rückte, um dem Kapitän Platz zu machen. Rodanov nahm das Fernrohr und spähte zu dem Schiff an der Kimm hinüber; er starrte so lange durch das Glas, bis tatsächlich kein Raum für Zweifel mehr blieb.
    »Das ist sie«, verkündete er. »Der Segeltrimm ist eigenartig, aber das ist die Giftorchidee.« »Und was jetzt?«
    »Lass jeden Fetzen Tuch setzen, den wir verkraften können«, befahl er. »Wir müssen möglichst nahe an sie herankommen, ehe sie uns bemerken.«
    »Wollen Sie versuchen, sich mit Signalen zu verständigen? Eine Verhandlung anbieten und dann entern?«
    »›Lasst uns hinter vorgehaltener Hand sprechen, damit man von unseren Lippen nicht lesen kann, als seien sie aufgeschlagene Bücher‹«, zitierte er.
    »Wollen Sie ihr schon wieder mit Poesie kommen?«
    »Das ist keine Poesie, das sind bloß Verse. Und ihr mit Poesie zu kommen wäre zwecklos. Früher oder später muss sie uns erkennen, und dann weiß sie genau, was wir vorhaben.«
    Er gab Ydrena das Glas zurück und rüstete sich, die Wanten abzuentern.
    »Wir greifen sofort an, ohne Täuschungsmanöver und mit gezogenen Waffen. So viel schulden wir ihr für den letzten Kampf ihres Lebens.«
     

Kapitel F ünfzehn
    Unter Brüdern
1
     
     
    »Weiß Jerome, dass du mich darum bittest?« »Nein.«
    Locke stand neben Drakasha an der Heckreling; er war dicht an sie herangerückt, damit niemand sie belauschen konnte. Es war um die siebente Morgenstunde, und die Sonne schob sich in einen wolkenlosen blauen Himmel hinauf. Der Wind blies aus Ost, kam eine Spur achterlich von steuerbord ein, und die Wogen türmten sich immer höher auf.
    »Und du glaubst, dass …«
    »Ja, ich glaube, dass ich für uns beide spreche«, unterbrach Locke sie. »Es gibt keine andere Wahl. Wir sehen Stragos erst wieder, wenn Sie das tun, was er von Ihnen verlangt. Und wenn Sie so handeln, dass er zufrieden ist, braucht er mich und Jean nicht mehr, daran besteht nicht der geringste Zweifel. Wir haben nur noch eine einzige Chance, uns ihm zu nähern. Es wird höchste Zeit, diesem Arschloch zu zeigen, wie wir die Dinge in Camorr handhaben.«
    »Ich dachte, ihr seid auf Trickbetrügereien spezialisiert.«
    »Ich bin auch ein

Weitere Kostenlose Bücher