Sturm ueber roten Wassern
warf seinen Mantel in die nächste Ecke, schnappte sich den Eimer, den Jean benutzt hatte, um ihm eine kalte Dusche zu verpassen, und erbrach sich geräuschvoll.
»Entschuldigung«, murmelte er, nachdem er seinen Magen entleert hatte. Er wirkte erhitzt und atmete schwer; seine Haut war genauso klamm wie in dem Moment, als er Jean auf der Straße stehen ließ, doch dieses Mal schwitzte er warmen Schweiß aus, keinen kalten. »Ich bin immer noch etwas vom Wein benebelt … und völlig außer Puste.«
Jean reichte ihm die Karaffe, und Locke sog das Wasser gierig in sich hinein, wie ein Pferd, das an einem Trog säuft. Danach bugsierte Jean ihn zu dem Stuhl und setzte ihn kurzerhand darauf. Ein Weilchen sagte Locke gar nichts; plötzlich schien er Jeans Hand auf seiner Schulter zu bemerken und zuckte zusammen. »Nun ja, das war’s dann wohl«, keuchte er. »Siehst du, was passiert, wenn du mich provozierst? Ich glaube, wir müssen aus der Stadt flüchten.« »Was zum Henker – was hast du angestellt?«
Locke hob den Deckel vom Korb; es war einer von der Sorte, wie sie normalerweise von Händlern benutzt wurden, um kleine Warenmengen zu oder von einem Straßenmarkt zu transportieren. Drinnen befand sich ein beachtliches Sammelsurium der unterschiedlichsten Dinge, und Locke listete sie auf, während er sie zutage förderte und Jean zeigte. »Was das ist, willst du wissen? Nun, das ist ein Haufen Geldbörsen, was dachtest du denn … ein-zwei-drei - vier Stück davon, alle von stocknüchternen Gentlemen auf offener Straße stibitzt. Hier hast du ein Messer, zwei Flaschen Wein, ein Bierhumpen aus Zinn – ein bisschen zerbeult, aber das Metall hat immer noch einen gewissen Wert. Eine Brosche, drei goldene Anstecknadeln, zwei Ohrringe – Ohrringe, Meister Tannen, aus Ohrläppchen herausgepflückt, das mach du mir erst mal nach. Hier ist ein kleiner Ballen hübscher Seide, eine Schachtel Konfekt, zwei Brotlaibe – kross mit vielen Gewürzen, so wie du es gern magst. Und jetzt, eigens zur Erbauung eines gewissen pessimistischen, streitsüchtigen Hurensohns, dessen Name ungenannt bleiben soll …« Locke hielt eine funkelnde Halskette hoch, ein geflochtenes Band aus Gold und Silber mit einem wuchtigen goldenen Anhänger, der mit einem stilisierten Blütenmuster aus Saphiren besetzt war. Selbst im trüben Schein der einzigen Laterne, die den Raum erhellte, blitzten die Steine wie blaues Feuer.
»Ein herrliches Stück«, staunte Jean, kurz vergessend, dass er eigentlich verschnupft sein sollte. »Auf der Straße hast du das aber nicht geklaut.«
»Nein«, bestätigte Locke, ehe er sich einen weiteren langen Zug aus der Karaffe mit dem lauwarmen Wasser genehmigte. »Ich habe es vom Hals der Geliebten des Gouverneurs gestohlen.« »Das kann doch nicht wahr sein!« »Im Hause des besagten Herrn.« »Ja, leck mich doch …«
»Und obendrein noch in seinem Bett.« »Du bist total verrückt, weißt du das?« »Während der Gouverneur neben ihr schlief.«
Die Stille der Nacht wurde durchbrochen von dem hohen, fernen Trillern einer Pfeife, dem überall gültigen, traditionellen Signal für die Stadtwache, auszurücken. Bald darauf stimmten ein paar weitere Trillerpfeifen in das misstönende Konzert ein. »Es ist durchaus möglich«, räumte Locke verschämt grinsend ein, »dass ich in meinem Eifer ein bisschen zu weit gegangen bin.«
Jean ließ sich auf das Bett plumpsen und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.
»Locke, die letzten Wochen habe ich damit verbracht, Tavrin Callas in dieser Stadt einen Namen zu machen. Die Richtigen Leute sollten glauben, dass meine Ankunft hier das absolut Beste ist, was ihrem kümmerlichen, traurigen Haufen überhaupt nur passieren konnte. Wenn die Stadtwachen anfangen, Fragen zu stellen, wird jemand sie auf mich aufmerksam machen … und irgendein anderer wird erwähnen, dass ich in diesem Loch hause und ständig mit dir zusammenglucke … Hier sitzen wir in der Falle. Sollten wir angegriffen werden, können wir uns nicht einmal wehren.«
»Wie ich schon sagte, ich glaube, wir müssen aus der Stadt fliehen.«
»Aus der Stadt fliehen?« Jean schnellte vom Bett hoch und zeigte anklagend mit dem ausgestreckten Finger auf Locke. »Du hast wochenlange Arbeit mit einem Schlag zunichtegemacht! Ich habe die Messing-Kerle ausgebildet – ihnen Zeichensprache, Tricks, Ablenkungsmanöver, Kämpfen und all das Zeug beigebracht, das man beherrschen muss, um sich auf der Straße zu behaupten! Und
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