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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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Mäntel und waren in Streifen aus zerrissenen Laken und Kleidungsstücken eingewickelt, als seien sie bandagiert. Eine dünne Schicht aus gekochtem Apfelmus, immer noch warm, drang durch ein paar »Bandagen«, die ihre Arme und die Brust bedeckten, und ihre Gesichter waren großzügig mit dem Brei beschmiert. Mit diesem Matsch auf der Haut und unter der Kleidung durch die Gegend zu laufen war ekelhaft, aber es gab auf der ganzen Welt keine bessere Verkleidung.
    Hautfäule war eine schmerzhafte, unheilbare Krankheit, und die davon Betroffenen wurden noch weniger toleriert als Leprakranke. Hätten Locke und Jean versucht, nach Vel Virazzo hineinzukommen, man hätte sie unbarmherzig abgewiesen. Doch so wie die Dinge standen, wollten die Wachen gar nicht wissen, wie sie sich Einlass in die Stadt verschafft hatten; in ihrer Hast, die beiden abzuschieben, waren sie beinahe übereinandergefallen.
    Die Vorstadt bot einen traurigen Anblick; ein paar Blocks aus baufälligen ein- und zweigeschossigen Gebäuden, hier und da bestückt mit wackeligen Windrädern, mit denen man in dieser Gegend die Blasebälge über Schmiedeessen und Glühöfen antrieb. Ein paar graue Rauchfäden kräuselten sich in die feuchte Luft, und in der Ferne grollte Donner. Hinter der Stadt, wo die alte kopfsteingepflasterte Theriner Thron-Straße in einen aufgeweichten, unbefestigten Weg überging, sah Locke mit Büschen und Gestrüpp bewachsenes Land, gelegentlich unterbrochen von felsigen Klüften und Halden aus Gesteinsschutt.
    Ihr Geld – sowie ihre gesamte Habe, die es wert war, mitgenommen zu werden -steckte in einem kleinen Beutel unter Jeans Kleidung, wo kein Wachmann sich zu suchen getraut hätte, es sei denn, ein Vorgesetzter hätte mit blankem Schwert hinter ihm gestanden und es ihm unter Androhung der Todesstrafe befohlen. »Bei den Göttern«, brummte Locke, während sie neben der Straße entlang trotteten, »ich bin so müde, dass ich gar nicht mehr klar denken kann. Ich habe wirklich Schindluder mit mir getrieben.«
    »Na ja, in den nächsten Tagen kriegst du dein Konditionstraining, ob du es nun willst oder nicht. Was machen deine Wunden?«
    »Sie jucken«, antwortete Locke. »Wahrscheinlich reizt dieser verdammte Apfelbrei die Haut. Aber es ist schon ein bisschen besser geworden. Die paar Stunden Bewegung scheinen mir ganz gutgetan zu haben.«
    »Jean Tannen kennt sich in solchen Dingen aus«, verkündete Jean. »Er weiß, wie man Wunden behandelt, da macht ihm so schnell keiner was vor; und schon gar nicht ein gewisser Klugscheißer namens Lamora.«
    »Halt deine Klappe, du fettes, hässliches, zugegebenermaßen schlaues Arschloch«, knurrte Locke. »Mmmm. Sieh nur, wie diese Idioten vor uns davonlaufen.«
    »Würdest du nicht wegrennen, wenn du auf der Straße zwei Männer sehen würdest, die tatsächlich die Hautfäule haben?«
    »Äh … doch, ich denke, ich würde mich auch schleunigst davonmachen. Oh Götter, meine Füße tun mir jetzt schon weh.«
    »Wenn wir ein, zwei Meilen weit aus der Stadt raus sind, legen wir eine Rast ein. Dann können wir den Brei abwaschen und als respektable Reisende weiterziehen. Hast du schon ein bestimmtes Ziel im Auge?«
    »Das dürfte doch auf der Hand liegen«, erwiderte Locke. »Diese Kleinstädte sind was für Kleinkarierte und Vorsichtige. Wir sind hinter Gold und Weißem Eisen her, und nicht hinter abgefeilten Kupfermünzen. Lass uns nach Tal Verrar gehen, da werden wir schon etwas nach unserem Geschmack finden.«
    »Mmm. Tal Verrar. Ist aber nicht besonders weit weg.«
    »Wir Camorri waren schon immer gut darin, unsere armen Verrari-Verwandten nach Strich und Faden zu bescheißen, deshalb sage ich auf nach Tal Verrar«, erwiderte Locke.
    »Wo wir diese altehrwürdige und glorreiche Tradition fortsetzen werden.« In dem morgendlichen Sprühregen, der ihre Gesichter benetzte und ihre Kleidung am Körper kleben ließ, stapften sie weiter. »Und wo wir als Erstes ein Bad nehmen!«
     

Kapitel Zwei
    Requin
1
     
     
    Obwohl Locke merkte, dass der Vorfall auf dem Nachtmarkt Jean genauso aufgewühlt hatte wie ihn, sprachen sie nicht mehr darüber. Sie hatten eine Aufgabe zu erledigen. Wenn die ehrlichen Männer und Frauen in Tal Verrar ihre Arbeit niederlegten und sich auf den Feierabend freuten, rüsteten sich Locke und Jean, um ihrer speziellen Tätigkeit nachzugehen. Anfangs war es ihnen schwergefallen, sich an den Rhythmus einer Stadt zu gewöhnen, wo die Sonne des Nachts einfach unter den

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