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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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Madam? Ich habe bei jedem Spiel betrogen. Den ganzen kostbaren Sündenturm rauf und runter habe ich falsch gespielt und Ihre anderen Gäste übers Ohr gehauen.«
    »Ich frage mich«, begann sie mit ihrem langsamen, hexenhaften Flüstern, »ob Ihnen tatsächlich bewusst ist, was es bedeutet, wenn Sie mir das beichten, Meister Kosta.
    Sind Sie vielleicht betrunken?«
    »Ich bin so nüchtern wie ein Säugling.«
    »Wollen Sie sich vielleicht einen skurrilen Scherz erlauben? Geht es um eine Wette oder Mutprobe?«
    »Nichts von alledem«, entgegnete Locke. »Und über meine Beweggründe möchte ich mit Ihrem Dienstherrn sprechen. Unter vier Augen.«
    Im sechsten Stock des Sündenturms ging es ruhig zu. Locke und Selendri waren allein, nur vier von Requins uniformierten Kasinoangestellten lungerten ungefähr zwanzig Schritt entfernt herum. So früh am Abend befand sich die exklusive Gesellschaft, welche diese Etage frequentierte, noch auf ihrer gemächlichen Zechtour durch die Geschosse, in denen es lebhafter zuging, und würde erst später in diese Höhen vordringen.
    Im Zentrum der sechsten Etage erhob sich eine große Skulptur inmitten eines hohen Zylinders aus transparentem Elderglas. Obwohl dieses Glas von keinem Werkzeug der Menschen angegriffen werden konnte, waren buchstäblich Millionen von weggeworfenen Splittern und geformten Stücken über die ganze Welt verteilt, und einige dieser Fragmente eigneten sich zum praktischen Gebrauch. In mehreren Städten gab es Gilden, die Elderglasabfälle einsammelten und gegen horrende Summen den Bedarf an bestimmten Objekten decken konnten.
    Innerhalb des Zylinders befand sich etwas, zu dem Locke nur das Wort Kupferkaskade einfiel – die Nachbildung eines sich über Felsen ergießenden Wasserfalls, übermannsgroß, bei dem die Gesteinsbrocken gänzlich aus silbernen Volani-Münzen geformt waren, und ein Strom aus stetig niederrauschenden kupfernen Centira das »Wasser« darstellte. Der Lärmpegel in dem schalldichten Glasbehälter musste enorm sein, doch für den draußen stehenden Betrachter fand das Schauspiel in absoluter Stille statt. Irgendein Mechanismus im Boden fing den Schwall aus Münzen auf und beförderte ihn in einem immerwährenden Kreislauf auf die silbernen »Felsen« zurück.
    Es war ein phantastisches, hypnotisches Bild und exzentrisch dazu … noch nie zuvor hatte Locke jemanden kennengelernt, der einen Raum im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Haufen Geld dekorierte.
    »Dienstherr? Sie gehen davon aus, dass ich einen habe.«
    »Sie wissen, dass ich Requin meine.«
    »Er wäre der Erste, der Sie korrigiert. Mit Nachdruck.«
    »In einer Privataudienz bekämen wir dann die Gelegenheit, verschiedene Missverständnisse zu klären.«
    »Oh … Requin wird Sie sicher empfangen – ganz privat.« Selendri schnippte zweimal mit den Fingern ihrer rechten Hand, und die vier Kasinoangestellten rückten auf Locke zu. Selendri deutete nach oben; zwei Männer packten ihn fest bei den Armen, und gemeinsam führten sie ihn die Treppe hinauf. Selendri folgte ihnen in einem Abstand von mehreren Stufen.
    Eine weitere Skulptur in einem noch größeren Behälter aus Elderglas beherrschte die siebte Etage. Dieses Kunstwerk ähnelte einem Kreis aus vulkanischen Inseln, die ebenfalls aus silbernen Volani bestanden und in einem Meer von Solari aus purem Gold schwammen. Aus jedem dieser silbernen Vulkankrater sprudelte ein Strom aus Goldmünzen, um sich die Bergflanken hinunter in den brodelnden, glänzenden »Ozean« zu ergießen. Requins Wachen schlugen ein zu hohes Tempo an, als dass Locke viel mehr Einzelheiten der Skulptur oder des Raumes erkennen konnte; sie marschierten an zwei uniformierten Angestellten vorbei, die neben der Treppe standen, und setzten ihren Weg nach oben fort.
    In der Mitte der achten Etage entdeckte Locke ein drittes Schaustück in einer Umfassung aus Elderglas, das die beiden vorhergehenden an Größe noch übertraf.
    Locke blinzelte mehrere Male und unterdrückte ein beifälliges Glucksen.
    Es war eine stilisierte Nachbildung von Tal Verrar, silberne Inseln schmiegten sich in ein Meer aus Goldmünzen. Über dem Modell der Stadt stand, mit breit gespreizten Beinen wie ein Gott, die lebensgroße Marmorskulptur eines Mannes, den Locke auf Anhieb erkannte. Die Statue sowie der Mann hatten vorspringende, gewölbte Wangenknochen, die dem schmalen Gesicht einen fröhlichen Ausdruck verliehen - dazu ein rundes, ausgeprägtes Kinn, große Augen und riesige

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