Sturm ueber roten Wassern
Ohren, die aussahen, als seien sie ihm im rechten Winkel an die Schläfen geklebt worden. Requin, dessen Züge stark an eine Marionette erinnerten, die ein übellauniger Puppenschnitzer ein bisschen zu hastig zusammengeschustert hat.
Die Hände der Statue waren in Hüfthöhe nach vorn gereckt, und aus den weiten Steinmanschetten, die sie umgaben, ergossen sich ununterbrochen zwei dicke Ströme aus Goldmünzen in die darunterliegende Stadt.
Locke, der dieses spektakuläre Szenario unverhohlen angaffte, wäre um ein Haar über seine eigenen Füße gestolpert, hätten die Kasinoangestellten nicht just in diesem Augenblick ihren Klammergriff um seine Arme gefestigt. An der Spitze der Treppe, die in die achte Etage führte, prangte eine zweiflügelige Tür aus lackiertem Holz.
Selendri rauschte an Locke und seinen beiden Begleitern vorbei. Links neben der Tür war eine schmale Nische in die Wand eingelassen; Seledri schob ihre Messinghand hinein, ließ sie in irgendeinen Mechanismus einrasten und vollführte eine halbe Drehung nach links. In der Wand klapperte und rasselte eine Art Räderwerk, und die Türflügel öffneten sich.
»Durchsucht ihn«, befahl sie, ehe sie ohne sich umzudrehen durch die Tür trat.
Eilig zog man Locke den Rock aus; danach klopfte man ihn von Kopf bis Fuß ab, und er wurde gründlicher betatscht, betastet und befingert als bei seinem letzten Bordellbesuch. Die beiden Stilette, die er in den Ärmeln trug (für einen gut situierten, bedeutenden Mann eine Selbstverständlichkeit), wurden konfisziert, man schüttelte seine Geldbörse aus, streifte ihm die Schuhe von den Füßen, und ein Angestellter fuhr mit den Fingern sogar durch Lockes Haare. Nachdem die Prozedur des Filzens zu Ende war, schubste man den halb entkleideten, ziemlich zerzausten Locke unsanft in Richtung der Tür, die Seleni vor ihm passiert hatte.
Gleich hinter der Tür gelangte er in einen düsteren Raum, der nicht viel größer war als ein Kleiderschank. Eine Wendeltreppe aus schwarzem Eisen, gerade mal breit genug für eine Person, schraubte sich einem Viereck aus mattgelbem Licht entgegen. Locke tappte die Stufen hoch und landete in Requins Büro.
Dieser Raum nahm die gesamte neunte Etage des Sündenturms ein; ein mit Seidenvorhängen abgetrennter Bereich an der hinteren Wand diente vermutlich als Schlafzimmer. In die Wand zur Rechten war eine Öffnung eingelassen, die auf einen Balkon führte und mit einem verschiebbaren Rahmen, in den ein Netz gespannt war, verschlossen wurde. Als Locke hindurchsah, schaute er über ein großes, im Dunkeln liegendes Gebiet von Tal Verrar, und daraus schloss er, dass er nach Osten blickte. Jede andere Wand des Büros war – wie er bereits gehört hatte – reichlich mit Ölgemälden geschmückt; annähernd zwanzig in dem Teil des Raumes, in den er Einblick bekam, alle in aufwändigen Rahmen aus vergoldetem Holz. Meisterwerke aus der Spätzeit des Theriner Throns, als fast jeder Adlige am kaiserlichen Hof einen Maler oder Bildhauer für sich arbeiten ließ und mit diesen Künstlern prahlte wie mit kostbaren Schoßtieren. Locke hatte nicht die Ausbildung genossen, um allein vom Ansehen die Bilder einordnen zu können, doch man munkelte, dass zwei Morestras und ein Ventathis Requins Wände zierten. Diese beiden Künstler waren zusammen mit all ihren Skizzen, den Büchern, die sie über die Theorie der Kunstmalerei verfasst hatten, und ihren Lehrlingen vor ein paar Jahrhunderten in dem Feuersturm verbrannt, der die Kaiserstadt Therim Pel vernichtet hatte.
Selendri stand neben einem breiten hölzernen Schreibtisch von der Farbe erlesenen Kaffees, der übersät war mit Büchern, Papieren und allerhand kleinen mechanischen Geräten. Dahinter befand sich ein zurückgeschobener Sessel, und Locke bemerkte die Überreste eines Abendessens – irgendeine Fischart auf einem Teller aus weißem Eisen, daneben eine halb leere Flasche mit einem blassgoldenen Wein. Mit ihrer lebendigen Hand berührte Selendri ihre Messingprothese, und es gab ein klickendes Geräusch. Die Hand faltete sich auseinander wie die Blätter einer metallisch glänzenden Blume. Die Finger klinkten sich rings um das Handgelenk ein und enthüllten ein Paar Klingen aus geschwärztem Stahl, sechs Zoll lang, die vorher im Innern der Hand verborgen gewesen waren. Selendri winkte damit wie ein Krebs mit seiner Schere und bedeutete Locke, sich vor den Schreibtisch zu stellen. »Meister Kosta.« Die Stimme kam von hinten, aus dem mit
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